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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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zwischen Konzil und Papsttum ging weiter. Unter Martin V. gewann der Heilige Stuhl die päpstlichen Staaten und ihre Einkünfte zurück, und dieser materielle, wenn auch nicht spirituelle Gewinn ermöglichte es dem Papsttum unter Martins Nachfolger, Eugen IV., die konziliare Auseinandersetzung auf dem Konzil von Basel zu erneuern. Wie ein Ringkampf von Giganten dauerte dieses Konzil achtzehn Jahre.
    Auseinandersetzungen um die Lehre wüteten, Gruppen sezessionierten, Rumpfkonzile traten zusammen, ein rivalisierender Papst – niemand Geringerer als der Graf von Savoyen – wurde als Felix V. gewählt. Reformen und Machtbeschneidungen des Papsttums wurden von einer Seite beschlossen und von der anderen verworfen, während Staaten und Herrscher sich erneut unter dem Diktat der Machtpolitik zerstritten. Schließlich erlitten die Reformer eine Niederlage, Felix V. dankte ab, und das Konzil von Basel löste sich 1449 auf. Das Papsttum, nun wieder fest in italienischen Händen, erkannte die konziliare Suprematie auf dem Papier an, gewann aber seinen Primat faktisch zurück. Sein Triumph aber, im Jubiläum von 1450 gefeiert, erwies sich als ein Phantom. Das Papsttum sollte nie wieder das werden, was es vor dem Schisma und den Konzilen gewesen war. Es hatte in der ersten dieser Krisen an Prestige verloren und in der zweiten seine Kontrolle über die
nationalen Kirchen. Als Ausdruck ihrer »gallikanischen Freiheiten« beschloß eine französische Synode 1438 unabhängig Reformen und beschränkte die päpstliche Besteuerung der französischen Geistlichkeit. Die Bewegungen und Ideen, die der konziliare Kampf hervorgebracht hatte, liefen unausweichlich auf die protestantische Sezession zu.
     
    Veränderung in einer anderen Sphäre signalisierten die Hussitenkriege, eine Bewegung, die ihren Schwung aus dem tschechischen Nationalismus und dem religiösen Eifer, den Tod Jan Hus’ zu rächen, bezog. Ihre Mitglieder waren größtenteils Bürgerliche und Bauern, und in ihrem Kampf gegen die Kriegerklasse waren es die Bürgerlichen, nicht ihre Gegner, die eine neue militärische Taktik entwickelten. Sie ersannen das Kriegsmittel der »beweglichen Festung«, ein Viereck oder einen Kreis von Planwagen, die gegen den Angriff von Reiterei zusammengekettet waren. Abteilungen, die mit Spießen bewaffnet waren, schützten die Lücken zwischen den Wagen und stürmten – wenn der Erfolg in der Verteidigung den Angriff erlaubte – durch diese Lücken aus der Festung heraus gegen den Feind. 1420 schlugen sie eine Ritterstreitmacht, die Sigismund in einem »Kreuzzug« gegen sie führte, um die rechte Lehre wieder zu etablieren. Mit dem Sieg gewannen sie Selbstvertrauen und unternahmen Expeditionen nach Ungarn, Bayern und Preußen, sogar bis an die Küste der Ostsee. Sie feuerten Kanonen aus dem Inneren ihrer Wagenburg ab und waren die ersten, die Handfeuerwaffen zu bedeutender Wirkung in der Schlacht brachten. Nach zehn Jahren war jeder dritte in der Hussitenarmee mit einer solchen Waffe ausgerüstet. [Ref 442]
    Da auch sie unter menschlichen Schwächen litten, kam es unter ihnen zu dem ideologischen Konflikt zwischen Radikalen und Gemäßigten, der schließlich ihre Bewegung von innen heraus zerstörte. Auf dem Konzil zu Basel waren sie indessen noch stark genug, die Kirche zu zwingen, zum erstenmal einen Friedensvertrag mit Ketzern zu schließen. Wie die Schweizer – ebenfalls zum größten Teil eine Armee der nichtadligen Klasse – hatten sie es gelernt, wirkungsvoll zu kämpfen, weil sie weder auf den Ruhm versessen noch auf das Pferd angewiesen waren.

    Im Laufe der 1420er und 1430er Jahre unternahm Heinrich der Seefahrer, Prinz von Portugal und Enkel des Johann von Gaunt, jährliche Reisen auf den Atlantik hinaus. Er entdeckte und besetzte die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln, segelte die Westküste Afrikas bis zur Gold- und Elfenbeinküste hinunter und öffnete diese Länder dem portugiesischen Handel. Auch wenn Prinz Heinrichs ursprüngliches Motiv die Verbreitung und der Ruhm des Ordens Christi war, an dessen Spitze er stand, so waren sein Werk und seine Planung modern. Er stand auf jener Brücke zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit, auf der sich auch die Humanisten und Wissenschaftler drängten. [Ref 443]
    Die Veränderung war ungleichmäßig und erratisch. Die Bevölkerungszahl Europas war gegen 1440 auf ihren Tiefpunkt gesunken und sollte noch dreißig Jahre lang nicht wieder ansteigen. Rouen, das vor dem Schwarzen

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