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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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operierten von 100- bis 300-Tonnen-Koggen aus,
die mit ihren erhöhten Decks und Schießständen für den Einsatz von Bogenschützen konstruiert waren. Der Schlachtverlauf war »wild und ungestüm«, berichtet Froissart, »denn Seeschlachten werden erbarmungsloser und entschlossener geführt, weil es keine Rückzugs- oder Fluchtmöglichkeiten gibt«. Unter dem Pfeilhagel der Bogenschützen wurden die Franzosen unter Deck getrieben und erlitten, verfolgt von Glücklosigkeit und Verwirrung, eine vollkommene Niederlage.
    Niemand wagte, Philipp VI. den Ausgang der Schlacht zu berichten, bis sein Hofnarr vor ihn gestellt wurde und rief: »Oh, diese englischen Feiglinge! Was für Feiglinge die Engländer doch sind!« Als er nach dem Warum gefragt wurde, antwortete er: »Sie sind nicht über Bord gesprungen wie unsere tapferen Landsleute!« Der König verstand das anscheinend. Die Fische tranken so viel französisches Blut, sagte man nach der Schlacht, daß sie französisch gesprochen hätten, wenn Gott ihnen die Gabe der Rede verliehen hätte. [Ref 65]
    Trotzdem führte der englische Sieg zunächst nicht weiter, Eduard hatte einfach nicht genug Truppen, diesen Seesieg zu Lande auszunutzen. Seine Alliierten aus den Niederlanden, die er teuer eingekauft hatte, zogen sich allmählich vom Kampfgeschehen zurück, da sie kein wirkliches Interesse an seinem Kriegsziel hatten. Sogar der Schwiegervater Eduards, Herzog Wilhelm von Hainault, kehrte in die für ihn näherliegende Bindung an Frankreich zurück. Mit unzureichenden Kräften und bankrotten Staatsfinanzen war Eduard III. gezwungen, das Vermittlungsangebot des Papstes zu akzeptieren. Er zog sich zurück, aber nur pour mieux sauter (um besser zu springen).
    Worum kämpfte er wirklich? Was war der wahre Grund für einen Krieg, der sich, alles menschliche Vorstellungsvermögen übersteigend, bis ins nächste Jahrhundert hineinziehen sollte? Wie bei den meisten Kriegen handelte es sich um eine brisante Mischung aus politischen, ökonomischen und psychologischen Gründen. Eduard wollte die endgültige Unabhängigkeit der Gascogne und Aquitaniens erreichen, jener westlichen Ecke Frankreichs, die Eleonore von Aquitanien in die Ehe mit Heinrich II., einem Vorfahren Eduards, eingebracht hatte. Trotzdem behielt der französische
König die Oberherrschaft über dieses Gebiet, und die Einwohner konnten sich unter der Formel superioritas et resortum an ihren französischen Oberherrn wenden. Da es als mehr als sicher galt, daß dessen Entscheidungen zu ihren Gunsten gegen die Engländer ausfielen, machten die Einwohner von ihrem Recht häufig Gebrauch. Aus diesem Grunde war die Situation eine endlose Quelle von Konflikten. Für die Engländer war dieses superioritas et resortum psychologisch und politisch untragbar.
    Der Zustand traf die Engländer um so mehr, als Aquitanien für ihre Wirtschaft von besonderer Bedeutung war. Mit seinen fruchtbaren Tälern und seinem Netz von schiffbaren Flüssen, die alle in den Hafen von Bordeaux führten, war es das größte Weinexportgebiet der bekannten Welt. England importierte von dorther Wein und andere Güter und exportierte im Gegenzug Wolle und Stoffe, dabei fielen sowohl nennenswerte Handelssteuern in Frankreich als auch in England an. Zwischen Bordeaux und Flandern gab es ähnlich gewinnbringende Handelsverbindungen, die den Neid Zentralfrankreichs hervorriefen. Außerdem war dieser englische Brückenkopf für die französische Monarchie untragbar. In den letzten zweihundert Jahren hatte jeder französische König mit Kriegen, Beschlagnahmungen und Verträgen versucht, Aquitanien zurückzugewinnen. Der Streit war alt und tief und bedeutete Krieg so sicher, »wie Funken aufwärts fliegen«.
     
    Eduard III. war fünfzehn Jahre alt, als er 1327 den Thron bestieg, 25, als er sich zum Krieg gegen Frankreich einschiffte, und 34, als er es 1346 zum zweitenmal versuchte. Er war gut gebaut, kraftvoll, hatte langes, blondes Haar, trug Schnauz- und Kinnbart, war voller Energie, tatendurstig und königlich eitel, elegant und launisch, und nichts an menschlicher Bösartigkeit war ihm fremd. Unter den erbarmungslosen Machtkämpfen, die zu der Ermordung der Vertrauten seines Vaters führten, war er aufgewachsen. Er hatte die Absetzung und Ermordung seines Vaters miterlebt und den Sturz und die Hinrichtung Mortimers, des Liebhabers seiner Mutter, der die Macht ergriffen hatte; aber er schien, soweit die Geschichtsschreibung weiß, von diesen Schrecken

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