Der ferne Spiegel
Hafen des sizilianischen Messina ein. Sie kamen aus dem Schwarzmeerhafen Kaffa (heute Feodosia) auf der Krim, wo die Genuesen eine Handelsniederlassung unterhielten. Die erkrankten Seeleute hatten fremdartige Schwellungen von der Größe eines Hühnereis in den Achselhöhlen und in den Leisten. Die Schwellungen näßten von Blut und Eiter und wichen Geschwüren und schwarzen Flecken, die sich über die ganze Haut ausbreiteten. Die Kranken litten schwere Schmerzen und starben schnell, fünf Tage nach den ersten Anzeichen der Krankheit. Als die Seuche sich ausbreitete, traten andere Symptome wie Blutspucken und hohes Fieber an die Stelle der Schwellungen und Lymphdrüsenverdickungen. Die Opfer husteten und schwitzten schwer und starben noch schneller, manchmal in weniger als drei Tagen, in seltenen Fällen innerhalb von 24 Stunden. Bei beiden Erscheinungsformen der Seuche rochen alle Körperausscheidungen, Atem, Schweiß, Blut aus Lungen und Schwellungen, Urin und blutschwarze Exkremente, faul. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit begleiteten die physischen Symptome, und noch bevor ein Kranker starb, »war ihm der Tod ins Gesicht geschrieben«. [Ref 82]
Die Krankheit war die Beulenpest und trat in zwei Arten auf: die eine infizierte die Blutbahnen, brachte die Beulen und Lymphdrüsenschwellungen hervor und wurde durch einfachen Körperkontakt übertragen. Die zweite infizierte die Lungen und verbreitete sich über Atemansteckung. Das Aufkommen beider Krankheiten zur gleichen Zeit erzeugte eine hohe Sterblichkeitsrate und erhöhte
die Geschwindigkeit ihrer Ausbreitung. Die Krankheit war so lebensgefährlich, daß man von Leuten hörte, die gesund zu Bett gingen und starben, bevor sie erwachten. Es soll Fälle von Ärzten gegeben haben, die sich am Krankenbett ansteckten und vor dem Patienten starben. Die Ansteckungsgefahr war so groß, daß dem französischen Arzt Simon de Covino es schien, als könne eine kranke Person »die ganze Welt infizieren«. Die Bösartigkeit der Seuche erschien um so schrecklicher, als die Opfer keine Vorbeugung und kein Mittel gegen sie kannten.
Das körperliche Leiden und der Anschein eines bösen Geheimnisses wurden in einem walisischen Klagelied ausgedrückt. Es sah »den Tod in unsere Mitte treten wie schwarzen Rauch, eine Seuche, die die Jungen hinwegrafft, ein erbarmungsloses Gespenst, das kein Mitleid mit der Schönheit kennt. Wehe mir! Eine Beule wächst unter meinem Arm, sie schwärt, ist schrecklich . . . ein schmerzender böser Knopf, der brennt wie glühende Kohle . . . ein kummervolles Ding, aschgrau.« Wenn es aufbricht, ist es häßlich wie der »Samen schwarzer Erbsen, wie kleine, spröde Stückchen Kohle, der frühe Schmuck des Schwarzen Todes, schwarz wie die Asche der Weidenrinde, eine schwarze Pest, groß wie eine Halfpennymünze, wie kleine schwarze Beeren . . .«. [Ref 83]
Gerüchte über eine schreckliche Seuche, die aus China stammen sollte, waren schon 1346 in Europa aufgetaucht. Angeblich hatte sie sich von Zentralasien über Indien und Persien, Syrien, Ägypten und ganz Kleinasien ausgebreitet, bis sie 1347 Europa erreichte. Die Gerüchte sprachen von einem verheerenden Zoll an Toten, ganz Indien sollte entvölkert worden sein, ganze Landstriche mit Leichen bedeckt, in anderen blieb niemand am Leben. Papst Klemens VI. errechnete in Avignon, daß insgesamt 23 840 000 Menschen ums Leben gekommen waren. Da es aber kein Bewußtsein von der Ansteckungsgefahr einer solchen Seuche gab, war Europa nicht eher ernstlich beunruhigt, als die ersten verseuchten Schiffe die Pest nach Messina und aus der Levante nach Genua und Venedig brachten.
Bis zum Januar 1348 hatte sich die Seuche über Marseille in Frankreich und über Tunis in Nordafrika ausgebreitet. Schiffe trugen sie die Küsten und Flüsse entlang. Zur gleichen Zeit wütete sie
in Rom und Florenz samt deren Hinterland in Italien. Zwischen Juni und August befiel sie Bordeaux, Lyon und Paris, tobte in Burgund und in der Normandie, überquerte den Kanal von der Normandie aus und setzte sich in Südengland fest. Von Italien aus überschritt sie im selben Sommer die Alpen, gelangte in die Schweiz und reichte ostwärts bis Ungarn.
In jedem Landstrich schlug die Seuche innerhalb von vier oder sechs Monaten zu und verschwand dann. Sie hielt sich nur in größeren Städten länger, wo sie in der dichten Bevölkerung im Winter abklang, aber nur, um im Frühjahr wieder aufzuflammen und weitere sechs Monate zu wüten.
In Paris
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