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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Bogenschützen und eine große Anzahl walisischer Fußsoldaten. Jetzt 24 Jahre alt, muskulös, mit einem vollen Schnurrbart, war der Erbe König Eduards ein harter und hochmütiger Fürst, der als »die Blume der Ritterschaft« unsterblichen Ruhm erlangen sollte. Sein Ruf blieb unversehrt, da er das Glück hatte, zu sterben, bevor er von der Verantwortung der Krone befleckt werden konnte. Die Franzosen aber sahen ihn als »in seiner Art grausam« und als den »stolzesten Mann, den je ein Weib gebar«. Der Zweck dieses Überfalls, der den Prinzen 250 Meilen weit bis nach Narbonne und im Oktober/November 1355 wieder zurück nach Bordeaux führen sollte, war nicht Eroberung, sondern Verwüstung und Plünderung. Niemals zuvor hatte das »berühmte, schöne und reiche« Land von Armagnac eine solche Zerstörung erlitten wie in diesen zwei Monaten.
Die Verheerung war aber nicht ohne Absicht; wie Terrorismus in jedem Zeitalter sollte sie die Menschen bestrafen und sie abschrecken, sich mit dem Feind zu verbinden. Da die Bewohner von Aquitanien sich wieder mit der französischen Krone arrangiert hatten, wurden sie von England als Rebellen angesehen, und der Schwarze Prinz sah es als seine Pflicht an, sie zu züchtigen. Eine solche Politik mußte Feindseligkeiten in dem Land provozieren, das die englische Krone für sich gewinnen wollte, aber der Prinz besaß nicht mehr und nicht weniger Weitblick als die meisten militärischen Führer und sah nicht in die Zukunft. Mit der Verstärkung durch seine Verbündeten aus der Gascogne hatte er eine Streitmacht von 1500 Lanzen (jeweils ein Ritter mit zwei Helfern), 2000 Bogenschützen und 3000 Fußsoldaten zusammengebracht. Er wollte einen Beweis englischer Macht liefern und dem Landadel zeigen, wo seine Interessen besser aufgehoben waren. Er verminderte die französischen Kriegsreserven, indem er einer Region schweren Schaden zufügte, die dem König von Frankreich reiche Steuern brachte. Plünderungen sorgten für Sold und Beute zugleich.
    Das Heer des Schwarzen Prinzen kehrte, mit Teppichen, Wandbehängen, Juwelen und anderer Beute beladen, wenn auch nicht mit Ruhm bedeckt, ins Winterquartier nach Bordeaux zurück. Wo war Tapferkeit, wo war Mut, wo waren die Heldentaten, die der Stolz des Kriegers waren? Raub und Mord an unbewaffneten Zivilisten forderten weder Mut noch Kraft, und sie hatten nichts mit den ritterlichen Tugenden der Tafelrunde und des Hosenbandordens zu tun. Der Prinz selbst, sein engster Verbündeter aus der Gascogne, der Hauptmann de Buch, sein bester Freund und Berater, Sir John Chandos, die Grafen von Warwick und Salisbury und mindestens drei weitere Ritter des englischen Heeres waren Mitglieder des Hosenbandordens. Ob sie, wenn sie sich nach den täglichen Blutbädern zur Ruhe legten, irgendeinen Widerspruch zwischen dem Ideal und der Praxis empfanden, weiß niemand. Sie hinterließen keine Anzeichen dafür. Um sein Recht zu strafen zu betonen, wies der Prinz zweimal große Entschädigungszahlungen von Städten zurück, die sich von den Plünderungen freikaufen wollten. Seine Briefe drücken nur das Gefühl zufriedener Pflichterfüllung
aus. Sein Raubzug hatte sein Heer bereichert, die französischen Einkünfte reduziert und jedem wankelmütigen Gasconen bewiesen, daß der Dienst unter der englischen Fahne lohnte. Aber sogar Froissart, der unkritische Bewunderer des Rittertums, schrieb: »Es war ein bedauerliches Ereignis . . .« Während der Krieg sich hinzog, vergiftete die Gewöhnung der Soldaten an Grausamkeit und Zerstörung die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts.
     
    Die für die Normandie bestimmten englischen Einheiten wurden durch widrige Winde und den plötzlichen Abfall von Karl von Navarra bis Ende Oktober aufgehalten. Es war fast zu spät für einen Feldzug im Norden. Der Befehlshaber dieser Truppen, Heinrich, Herzog von Lancaster, [Ref 119] genannt der »Soldatenvater«, war der erfahrenste Kriegsherr Englands und hatte mit seinen 45 Jahren nicht eine Schlacht versäumt. Er war Veteran der schottischen Kriege, hatte bei Sluis, Calais und in allen Feldzügen gegen Frankreich gekämpft. Wenn sein Land nicht Krieg führte, hatte er in alter Rittertradition sein Schwert ins Ausland getragen. Er hatte sich dem König von Kastilien in seinem Kreuzzug gegen die Mauren in Algeciras angeschlossen, war nach Preußen gereist, um den Deutschen Ritterorden bei einem seiner alljährlichen »Kreuzzüge« zu begleiten, die das Christentum in das heidnische

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