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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Pariser Châtelet, und seine Besitztümer wurden erneut von der Krone beschlagnahmt.
    Johanns unüberlegter Zugriff blieb nicht ohne Folgen. Johann von Harcourt hatte drei Brüder und neun Kinder (eine seiner Töchter war mit Raoul de Coucy, einem Onkel Enguerrands VII., verheiratet), die alle in bedeutende Familien Nordfrankreichs eingeheiratet hatten. Der König hatte es geschafft, die weiten Verbindungen seines Opfers gegen sich aufzubringen, ohne seinen eigentlichen Feind, Karl von Navarra, endgültig zu vernichten. Auf den Gefangenen im Châtelet richtete sich viel Sympathie, und es wurden sogar populäre Lieder zu seinen Ehren komponiert. Der Vorfall von Rouen hatte genau das bewirkt, was der König hatte vermeiden wollen – die Normandie wandte sich wieder England zu. Der Bruder von Johann von Harcourt, Gottfried, derselbe, der Eduard III. zehn Jahre zuvor in die Normandie geführt hatte, und der Bruder Karls, Philipp von Navarra, wandten sich mit Hilfeersuchen an die Engländer. Als die englischen Verbände im Juli 1356 in Cherbourg landeten, schworen die beiden Eduard III. als König von Frankreich die Treue. Unter Führung des Herzogs von Lancaster zogen die Engländer von Cherbourg in die Bretagne, während
gleichzeitig der Schwarze Prinz von Bordeaux aus zu einem neuen Feldzug nach Norden ins Herz Frankreichs aufbrach. Die Ereignisse bewegten sich auf den Zusammenstoß von Poitiers zu.
     
    Mit achttausend Mann, die sich aus Engländern, Gasconen und Verstärkungen aus dem Mutterland rekrutierten, marschierte der Prinz nach Norden. Sein Ziel war es, sich mit Lancaster im Norden zu vereinigen und auf dem Weg dorthin Städte und Festungen zu vermeiden und nur zu rauben und zu plündern. Etwa am 3. September erreichte der Prinz die Loire und wandte sich, da sämtliche Brücken zerstört waren, nach Westen in Richtung Tours, wo er davon unterrichtet wurde, daß eine große französische Armee sich auf ihn zubewegte. Boten brachten ihm die Nachricht, daß Lancaster die Normandie verlassen hatte und nun eilig die Vereinigung der beiden englischen Armeen anstrebte. Aber die Loire lag zwischen ihnen, und das Land war voller französischer Einheiten. Seine Männer waren müde und mit Beute beladen. Vier Tage lang zögerte er und verspielte damit seinen Vorsprung, dann wandte er sich wieder nach Süden, um der Schlacht auszuweichen, und versuchte, sein Beutegut sicher nach Bordeaux zurückzubringen. [Ref 122]
    Im Norden hatte sich Johann zunächst gegen Lancaster gewandt und zeitweise seinen Weg blockiert, um dann der Bedrohung aus dem Süden zu begegnen. Er hatte in seinem Aufruf alle Streitkräfte nach Chartres beordert. Durch die Ankunft des Feindes an der Loire alarmiert, waren die Adligen allen Vorbehalten zum Trotz dem Ruf des Königs gefolgt. Sie kamen aus der Auvergne, Berry, Burgund, Lothringen, Hainault, Artois, Vermandois, der Picardie, Bretagne und Normandie. »Kein Ritter und kein Knappe blieb zu Hause«, schrieben die Chronisten, »die Blüte Frankreichs war versammelt.«
    Den König begleiteten seine vier Söhne. Gautier de Brienne, der den Titel »Herzog von Athen« nach einem erloschenen Herzogtum trug, das während eines Kreuzzuges gegründet worden war, war der neue Constable. Zwei Marschälle Frankreichs, 26 Herzöge und Grafen, 334 Bannerherren und beinahe alle anderen Grundherren und Ritter gehörten zu der Heerschar. Es war die größte französische Armee des Jahrhunderts – »ein großes Wunder«,
schrieb ein englischer Chronist, »noch nie sah man dergleichen Adel in Waffen«. Die wirkliche Stärke dieses Heeres ist endlos diskutiert worden – die Chronisten setzten sie je nach individueller Unbedenklichkeit auf bis zu achtzigtausend Mann an –, heute geht man von einer Zahl von sechzehntausend aus, also etwa doppelt soviel, wie der Schwarze Prinz zur Verfügung hatte.
    Aber es war eine zusammenhanglose Armee. Die großen Herren kamen später als verabredet, jeder mit einem Gefolge von fünfzig, hundert oder hundertfünfzig Mann unter seiner eigenen Fahne, mit seinem eigenen Troß und Gold- und Silberschätzen, die im Notfall Bargeld ersetzen sollten. Die Bestimmungen der »königlichen Verordnung« von 1351 hatten, was die Disziplin und Ordnung anging, wenig Ergebnisse gebracht. Ein neuer Streit über Steuern hatte die Bürger verstimmt und die Städte veranlaßt, ihre Kontingente zurückzuziehen. Froissart hat eine andere Version: Er schreibt, daß Johann die bürgerlichen Einheiten

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