Der ferne Spiegel
Linie war Karl zusammen mit seinen Brüdern, dem siebzehnjährigen Ludwig und dem sechzehnjährigen Johann. Behindert von den reiterlosen Pferden, nahm das Bataillon den Kampf Mann gegen Mann auf, kämpfte entschlossen mit den kurzen Lanzen, mit Streitaxt und Schwert. Aber die Soldaten hatten keinen kampferprobten Führer mehr, unter dem Kommando eines dem Chaos gegenüber hilflosen Knaben fielen sie zurück. Feindliches Triumphgeschrei begrüßte die Eroberung des Banners des Dauphins. Auf Befehl des Königs, der seine Söhne retten wollte, oder, wie später gesagt wurde, auf Anordnung der vier fürstlichen Beschützer des Thronfolgers zog sich der größere Teil des Bataillons vom Schlachtfeld zurück. Dabei brachen die zurückströmenden Männer in die Schlachtordnung des nachdrängenden Bataillons ein. Statt mit frischen Truppen den Druck auf die hartbedrängten Engländer zu erneuern, was vielleicht die Wende gebracht hätte, ließ sich das Bataillon des Herzogs von Orléans von der Panik anstecken, floh, ohne auch nur einen Schlag geführt zu haben, zu seinen wartenden Pferden zurück und galoppierte in die Stadt. »Vorwärts!« befahl der König angesichts dieser Katastrophe. Mit fliegender »Oriflamme« marschierten er und sein jüngster Sohn, der vierzehnjährige Philipp, der spätere Herzog von Burgund, mit dem größten der drei Bataillone, die Ritter ungelenk in ihren eisernen »Kokons«, ins Kampfgetümmel. »O weh! Wir sind verloren!« schrie ein englischer Ritter, als er sie kommen sah. »Du lügst, elender Feigling«, grollte der Schwarze Prinz, »es ist Blasphemie, zu sagen, daß ich, solange ich lebe, geschlagen werde.« Beide Seiten stürzten sich mit der Wildheit der Verzweiflung in
den Kampf. Nun, da die Köcher der Bogenschützen leer waren, stand die Schlacht noch einmal auf des Messers Schneide. In der Pause vor dem neuen französischen Angriff hatten einige Bogenschützen ihre Pfeile aus den Körpern der Toten und Verwundeten gezogen, andere waren dazu übergegangen, mit Messern und Steinschleudern zu kämpfen. Wäre die dritte französische Angriffswelle beritten gewesen, so hätte sie möglicherweise die Schlacht zu ihren Gunsten entscheiden können.
Die Schlacht ging in die siebente Stunde. Eine unübersehbare formationslose Masse von Kämpfern schlug aufeinander ein. Nur der Prinz und Chandos mit ihren Reserven behielten von ihrem Kommandostand auf dem Hügel aus den Überblick. Auf die wehende »Oriflamme« weisend, riet Chandos dem Prinzen, die königliche Einheit anzugreifen: »Sein Ehrgefühl wird es ihm nicht erlauben zu fliehen, er wird in unsere Hände fallen, und der Sieg ist unser.« Der Prinz befahl seinem französischen Verbündeten, dem Hauptmann de Buch, mit einer kleinen berittenen Streitmacht im Rücken der französischen Verbände anzugreifen, während er selbst die berittene Reserve und die Unverwundeten seines Bataillons zu einem Frontalangriff sammelte. Dies erwies sich als das schlachtentscheidende Manöver. »Ihr Herren, blickt auf mich! Mit Gottes Gnade denkt an den Angriff! Vorwärts im Namen Gottes und des heiligen Georg!« Die Trompeten erschollen, und ihr Echo wurde von den Stadtmauern des nahe gelegenen Poitiers zurückgeworfen, »so daß man glaubte, die Hügel hätten nach den Tälern gerufen und es hätte im Himmel gedonnert«. Der englische Angriff, zum größten Teil beritten, brach in die Einheit des französischen Königs ein wie »der wilde Keiler von Cornwall«. Die Schlacht erreichte ihren Höhepunkt, und keiner »war so unerschütterlich«, schrieb Chandos Herald, »daß sein Herz nicht erschrocken wäre«. »Aufgepaßt, Vater, zur Rechten! Achtung, zur Linken!« schrie Philipp unter den Schlägen der Feinde. Die Ritter verbissen sich in erbitterte Zweikämpfe – »jeder dachte an seine Ehre«. Unter dem Frontalangriff des Prinzen und mit den Reitern des Hauptmanns de Buch im Rücken, kämpften die Franzosen in wilder Verzweiflung. Aus vielen Wunden blutend, wurde Geoffrey de Charny niedergeschlagen und getötet, die »Oriflamme« noch in
den Händen. Die Garde des Königs, die ihn wie ein mächtiger Keil umgab, wankte unter dem Ansturm. »Einige, denen die Bäuche aufgeschlitzt worden waren, traten auf ihre eigenen Gedärme, andere spuckten ihre ausgeschlagenen Zähne aus, einigen, die noch standen, wurde der Arm abgeschlagen. Die Sterbenden rollten im fremden Blut, die Gefallenen stöhnten, und die stolzen Geister, die ihre reglosen Körper
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