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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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natürlich sein Äußerstes, um den König gefangenzunehmen.
    »Absitzen! Absitzen!« befahl König Johann und »stieg selbst als erster ab«. Es ist gesagt worden, daß er sich zu diesem Schritt entschlossen habe, um die Fluchtmöglichkeiten seiner uneinigen Truppen einzuschränken. Moderne Kritiker – denn die Diskussion setzte sich fort – haben den Entschluß eine »selbstmörderische Dummheit« genannt, andere haben ihn als die einzig vernünftige und mögliche Taktik angesehen, da wegen der vielen Hecken, Gräben und Sümpfe die Reiterei nicht geschlossen eingesetzt werden konnte.
    Die Ritter saßen ab, entfernten die Sporen, schnitten die langen Spitzen ihrer Schuhe ab und verkürzten ihre Lanzen auf eineinhalb Meter. Die »Oriflamme«, das spaltzüngige, scharlachrote Banner der französischen Könige, wurde Geoffrey de Charny, »dem vollkommenen Ritter«, übergeben. »Ihr habt die Engländer verflucht«, rief der König seinen versammelten Rittern zu, »und wolltet eure Schwerter mit den ihren kreuzen. Da stehen sie vor euch! Erinnert euch an das Unrecht, das sie euch zufügten, und rächt euch für die Verluste und Leiden, die sie Frankreich zugefügt haben! Ich verspreche euch, wir werden mit ihnen kämpfen, und Gott sei mit uns!«
    Der Schwarze Prinz stellte zwei Bataillone in die erste Linie und eines dahinter, die Bogenschützen in Abständen auf die drei verteilt. Die vier Grafen – von Warwick und Oxford, Suffolk und Salisbury
– kommandierten die beiden vorderen Bataillone, der Prinz und Chandos das zurückgezogene und eine Reserve von vierhundert Reitern. Die Engländer hatten nicht nur die bessere Position, sie waren vor allem das homogenere, besser organisierte Heer mit der Erfahrung von zwei Feldzügen hinter sich. Für Expeditionen ins feindliche Ausland waren die Engländer zu gründlicher Planung und guter Ausbildung der Truppen gezwungen.
    Aber selbst jetzt noch, vielleicht auch weil seine Berater gegensätzlicher Meinung waren, versuchte der Schwarze Prinz, nach Süden über die Straße nach Bordeaux zu entkommen. »Denn an jenem Tag«, so schrieb Chandos Herald später, »wünschte er den Kampf nicht, sondern wollte, das sage ich ehrlich, mit allen Mitteln die Schlacht ganz vermeiden.« Die Rückzugsbewegung eines Teils des zuerst abrückenden Trosses wurde aber durch die im Wind flatternden Wimpel der Vorhut verraten. Marschall d’Audrehem sah sie zuerst und rief: »Ha! Verfolgt sie! Greift an, ehe die Engländer uns verloren sind!« Der nüchternere Clermont riet nach wie vor zur Umzingelung, was zu einem wütenden Streit zwischen den beiden Marschällen am Rand der Schlacht führte. D’Audrehem verdächtigte seinen Kameraden, »Furcht vor dem Anblick der Engländer zu haben«, und Clermont antwortete ihm mit einer angemessenen Beleidigung: »Ha, Maréchal. Ihr seid nicht so kühn, als daß Euer Roß nicht seine Nase im Arsch meines Rosses wiederfinden wird.« In dieser Uneinigkeit blies die berittene Speerspitze der französischen Arme zum Angriff. Der Schwarze Prinz sah die Vorbereitungen der Attacke und stoppte den begonnenen Rückzug. In einer feurigen Rede rief er seine Ritter auf, für den Anspruch ihres Königs auf die französische Krone zu kämpfen, für die Ehre des Sieges, für reiche Beute und unvergänglichen Ruhm. Er ermahnte sie, Gott zu vertrauen und den Befehlen zu gehorchen. Die Reiter d’Audrehems wurden von den Bogenschützen der Engländer eingedeckt und festgenagelt, während Clermont zusammen mit dem Constable von einem Pfeilhagel zurückgeschlagen wurde, der so dicht war, daß er den Himmel verfinsterte. Aus ihren von Fußsoldaten und abgesessenen Rittern geschützten Stellungen heraus zielten die Langbogenschützen auf ausdrücklichen Befehl des Grafen von Warwick auf die nicht gepanzerten Rümpfe der Pferde.
Reihenweise brachen die Tiere unter ihren Reitern zusammen oder bäumten sich auf und richteten »unter ihren eigenen Herren ein großes Massaker an«. Es war eine Wiederholung der Panik von Crécy. Die gestürzten Ritter konnten weder ihre Pferde noch sich selbst wiederaufrichten. In dem nachfolgenden Handgemenge, unter dem Schlachtgeschrei und den Trompetensignalen, dem Brüllen der Verwundeten und dem Wiehern der verletzten Pferde, fielen Clermont und der Constable, wurde d’Audrehem gefangengenommen und der größte Teil der ausgesuchten Ritter getötet.
    Schon rückte das Bataillon des Thronfolgers zu Fuß vor, in das Chaos hinein. In der ersten

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