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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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de Charnys, hundert Ritter beider Seiten den Kampf austragen zu lassen, wurde abgelehnt, weil das vermeintlich zu viele von Kampf, Ruhm und Beute ausgeschlossen hätte. Wäre es zur sofortigen Schlacht gekommen oder hätte man Charnys Vorschlag angenommen, wäre der Ausgang vielleicht ein anderer gewesen.
    Talleyrand eilte ins Lager des Schwarzen Prinzen und fand ihn sehr zugänglich für jede Art friedlicher Einigung, die ihm Beute und Ehre ließ. Eduard bot an, alle Gefangenen ohne Lösegeldzahlung wieder auf freien Fuß zu setzen, er wollte die von ihm besetzten Gebiete räumen und sich zu einem siebenjährigen Waffenstillstand verpflichten. Der Chronique des Quatre Premiers Valois zufolge war er sogar bereit, Calais und Guînes zurückzugeben, obwohl ihm sicherlich die Machtbefugnis dazu fehlte. Seine außergewöhnlichen Zugeständnisse zeigen aber, daß der Prinz wußte, in welch verzweifelter Lage er sich befand. Ihm war klar, daß die Franzosen ihn aushungern konnten, wenn sie sich entschlossen, ihn zu umzingeln und zu belagern. Oder aber er wollte nur Zeit gewinnen, wohl wissend, daß die Franzosen eine so ruhmlose Lösung ablehnen würden, um seine Bogenschützen in Stellung bringen zu können. Seine Männer waren während dieses Tages der Verhandlungen intensiv damit beschäftigt, Gräben zu ziehen und Palisaden aufzubauen.

    König Johann war bereit, Eduards Vorschläge zu überdenken. Talleyrand und seine Begleiter eilten auf ihren Maultieren zwischen dem englischen und dem französischen Lager hin und her, und die berühmtesten Ritter des Prinzen kamen unter freiem Geleit, um selbst zu verhandeln. In der Arroganz seiner Siegesgewißheit nahm Johann die Vorschläge schließlich unter der Bedingung an, daß der Prinz selbst und hundert seiner Ritter sich als Gefangene des Königs ergäben. Diese Demütigung lehnte der Prinz entschlossen ab. Außerdem hatte er seine Stellungen im Wald und an den Hecken inzwischen beträchtlich verstärkt. Während Talleyrand Johann noch bat, um der Liebe Jesu willen zumindest einer Waffenruhe bis Weihnachten zuzustimmen, ging der Tag der Verhandlungen vorüber. Der französische Kriegsrat trat wieder zusammen, um einen Angriffsplan zu fassen.
    Marschall Clermont riet zu einer Blockade der englischen Truppen. Das war genau die Taktik, die der Prinz fürchtete. Man sollte nicht die Torheit begehen, die Engländer in ihrer starken Stellung anzugreifen, sagte Clermont, sondern sie vielmehr umzingeln, bis ihnen die Vorräte ausgingen und »sie die Stellungen verlassen« müßten. Dies war der naheliegende und vernünftige Kurs, aber das Diktat der Ritterehre verbot ihn. Mit Hohn und grimmigem Widerspruch lehnte Marschall d’Audrehem Clermonts Vorschlag ab. Drei Ritter, die die englischen Linien ausgekundschaftet hatten, berichteten, daß der einzige Zugang zu den feindlichen Stellungen so schmal sei, daß nur vier Männer nebeneinander hindurchreiten könnten. Auf Anraten von Sir William Douglas, einem im Kampf gegen die Engländer erprobten Schotten, der nun Berater des französischen Königs war, wurde beschlossen, daß die Hauptstreitmacht zu Fuß angreifen sollte. Um aber nicht ganz auf die Vorteile des Kavallerieangriffs verzichten zu müssen, sollte der erste Einbruch in die Linien der englischen Bogenschützen einer Eliteeinheit von dreihundert Rittern auf den schnellsten und stärksten Schlachtrössern vorbehalten werden. Alle drei Befehlshaber, der Constable und die beiden Marschälle, wurden in unglaublicher Bedenkenlosigkeit dieser Truppe zugeordnet.
    Bei Sonnenaufgang am Montag, dem 19. September, stellte sich das französische Heer mit Waffenlärm und Trompetenschall hinter
der berittenen Speerspitze in den üblichen drei Bataillonen auf. Die Bataillone standen hintereinander, wahrscheinlich, um verschiedene Angriffswellen vorzutragen, was aber verhinderte, daß sie einander an den Flanken unterstützen konnten. An der Spitze des ersten Bataillons stand der neunzehnjährige Thronfolger, zumindest nominell – es war seine erste Schlacht. Philipp von Orléans, Bruder des Königs, zweiundzwanzigjährig und ebenfalls völlig unerfahren, führte das zweite Bataillon, und das dritte stand unter dem Kommando des Königs selbst. Er wurde von einer neunzehnköpfigen Leibwache begleitet, die genau wie er eine schwarze Rüstung und einen weißen, mit Lilien besetzten Umhang trug. Dies war eine kluge, wenn auch wenig ritterliche Vorsichtsmaßnahme, denn der Feind tat

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