Der ferne Spiegel
streiten, wer wen gefangengenommen hatte und für welchen Preis die Gefangenen freigelassen werden sollten. Dabei gab es viel böses Blut zwischen den Verbündeten; bald waren Beschwerden darüber zu hören, daß die Bogenschützen zu viele getötet hätten, die auch für ein Lösegeld hätten verkauft werden können. Als der Prinz beschloß, seinen königlichen Gefangenen nach England zu bringen, beanspruchten die Gasconen erzürnt einen Anteil an seinem Lösegeld und mußten durch die Zahlung von 100000 Florin beschwichtigt werden, nachdem sie ein erstes Angebot von 60000 Florin verschmäht hatten. Mit dem französischen König in ihren Händen waren die Engländer in der Lage, den Franzosen erdrückende Bedingungen zu diktieren. Aber obwohl die französischen Unterhändler selbst Gefangene waren und der Dauphin zu Hause mit den Ereignissen in Paris ausgelastet war, schreckten die Franzosen vor den harten englischen Forderungen zurück. Der Winter verging, ohne daß eine andere Vereinbarung getroffen worden wäre als ein erneuter zweijähriger Waffenstillstandsvertrag. Im Mai 1357, sieben Monate nach der Schlacht, brach der Schwarze Prinz mit König Johann und seinem Sohn nach London auf, während in Paris der dritte Stand in den Nachwehen der Niederlage nach der Macht griff.
KAPITEL 7
Das enthauptete Frankreich: Die Erhebung des Bürgers und die Jacquerie
S eit langem erbittert über die Anarchie der königlichen Finanzen und die Bestechlichkeit der Minister, versuchte der dritte Stand in Paris, angesichts der Enthauptung der Monarchie eine Form konstitutioneller Kontrolle durchzusetzen. Eine Generalversammlung der Stände, die einberufen wurde, um neue Mittel für die Verteidigung zu bewilligen, bot die Gelegenheit dazu. Sobald die achthundert Delegierten im Oktober in Paris versammelt waren, mußte der unerfahrene Dauphin, beschämt und verängstigt durch die Niederlage bei Poitiers, einen Bericht über den unrühmlichen Schlachtausgang geben und die Stände um Hilfsgelder bitten, um den König auszulösen und das Königreich zu verteidigen. Die Bürgerlichen, die Hauptgläubiger des Staates und an Zahl die Hälfte der Versammelten, hörten dem Kanzler des Königs, Pierre de la Forêt, der das Anliegen unterstützte, kühl zu. Zunächst wählten sie ein ständiges Komitee von achtzig Mitgliedern, in dem auch Adel und Klerus vertreten waren, und schickten dann die anderen Ständevertreter mit Dank nach Hause. Dann trat das Komitee der achtzig mit seinen Forderungen vor den Dauphin. Sie baten darum, ihn privat sprechen zu dürfen, denn sie glaubten, daß er ohne seine Ratgeber einfacher einzuschüchtern sein würde.
Die führende Gestalt unter ihnen, die der Motor der kommenden Erhebung werden sollte, war der Vorsteher der Kaufleute, Etienne Marcel, ein reicher Tuchhändler, dessen Amt dem eines Bürgermeisters von Paris ebenbürtig war. Marcel war der Sprecher der Stände gewesen, als sie 1355 ihr Mißtrauen gegenüber der königlichen Regierung öffentlich ausdrückten. Er vertrat die mächtigen Handelsmagnaten des dritten Standes, die Manufakturbesitzer
und Geschäftsleute der mittelalterlichen Gesellschaft, die in den letzten zweihundert Jahren einen Einfluß, wenn auch nicht einen Status, erreicht hatten, der dem der Prälaten und des Hochadels vergleichbar war.
Die erste Forderung, die er im Namen der Stände vortrug, war die Entlassung von sieben Ratgebern des Königs, deren Bestechlichkeit berüchtigt war. Ihr Eigentum sollte beschlagnahmt werden, und ihnen selbst sollte die Ausübung öffentlicher Ämter für immer verwehrt bleiben. An ihre Stelle sollte ein »Rat der achtundzwanzig« treten, der sich aus zwölf Adligen, zwölf Bürgern und vier Geistlichen zusammensetzte und durch die Stände ernannt wurde. Erst nach Einlösung dieser Forderungen waren die Stände bereit, bestimmten Steuern zur Finanzierung des Krieges zuzustimmen. Eine letzte Bedingung, die sie besser nicht gestellt hätten, war, Karl von Navarra aus dem Gefängnis zu entlassen. Die Stände wollten ihn aus zwei Gründen befreien, einmal, weil er mit seinem politischen Potential Druck auf den Thronfolger ausüben konnte, und zum anderen hatte er einen Verbündeten unter ihnen, einen Intriganten wie er selbst und die graue Eminenz der Reformbewegung. Dies war Robert le Coq, [Ref 126] Bischof von Laon, ein Geistlicher bürgerlicher Herkunft und von »gefährlicher« Beredsamkeit. Er hatte es durch Rechtskundigkeit bis zum Advokaten des
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