Der ferne Spiegel
ließen für kleine Vorgärten Platz. Die Häuser selbst waren in dem neuen urbanen Stil gebaut, sie waren schmal und hoch. Die Hôtels der Adligen und der großen Kaufleute waren als Zugeständnis an den alten Baustil der Burgen noch von Mauern und Türmen umgeben.
Das Innere dieser Häuser war eher spärlich möbliert. Betten, die zugleich als Sitzmöbel dienten, waren das wichtigste Element. Der größte Luxus des Mittelstands waren die »französischen« Wandkamine, massive offene Feuerstellen, die neben dem Herd in der Küche und der Bettpfanne die einzige Wärmequelle darstellten. In bezug auf Heizung und sanitäre Einrichtung hätte das Jahrhundert seine technischen Möglichkeiten besser nutzen können, aber der Mensch ist irrational in seinen Gewohnheiten, auch wenn sie dem Komfort entgegenstehen. Pelzdecken, fellgefütterte Jacken, dicke Unterkleidung und Gewänder ersetzten Öfen und Kamine.
Die Fußböden wurden im Sommer mit duftenden Kräutern bestreut und im Winter mit Stroh, das in reichen Häusern öfter, in den armen nur einmal im Jahr gewechselt wurde. Im Laufe der Zeit wurde es dreckig, war schließlich voller Flöhe, Abfall und Hundekot. Die Diener wohnten im Haus und hatten selbst in großen
Häusern keine eigenen Zimmer oder Kammern, sie schliefen, wo sie konnten. Private Räume gab es nicht, was die Gereiztheit der Menschen gesteigert haben mag. Ob das die Verführung der Frauen erleichterte oder erschwerte, ist eine offene Frage. Die beiden Studenten in Chaucers Erzählung des Vogts konnten die Gunst der Müllerin und ihrer Tochter ungehindert genießen, weil sie mit der ganzen Familie des Müllers in einem Zimmer schliefen. Auch in größeren Häusern schliefen die Gäste mit dem Gastgeber und seiner Frau in einem Raum.
Diesen dritten Stand vom ärmsten Arbeiter bis zum reichsten Kaufmann versuchte der Vorsteher Marcel in seinem Kampf gegen den Dauphin zu mobilisieren. Er drohte mit Streiks und Gewalt. Als der Thronfolger versuchte, durch eine erneute Münzverschlechterung Geld aufzubringen, und dadurch den Volkszorn auf sich zog, »rief der Vorsteher alle Gilden und Zünfte der gesamten Stadt auf, die Arbeit einzustellen und sich zu bewaffnen«. Der Dauphin war gezwungen, seine Edikte zurückzunehmen. Da er keine Geldmittel mehr hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als nach Paris zurückzukehren und die Stände erneut einzuberufen.
Bei dieser Sitzung, die einen Monat von Februar bis März 1357 dauerte, wurden alle geforderten Reformen schriftlich in der »Großen Verfügung« [Ref 130] von 61 Artikeln vorgelegt – der Magna Charta des dritten Standes. Die Verfügung war französisch und nicht lateinisch abgefaßt, wie um zu bekräftigen, daß sich hier eine neue Stimme erhob. In ihr wurde das Idealbild einer »guten Regierung« entworfen, und es schien, als solle Lorenzettis wunderbare Vision in Erfüllung gehen, die er ein paar Jahre vorher in Siena gemalt hatte. Das Gemälde zeigt eine Stadt, in der wohlgekleidete Bürger friedlich ihren Geschäften nachgehen und bewaffnete Reiter ihnen in Achtung und Wohlwollen begegnen. In einer Zeit der Wirren versuchte die »Große Verfügung«, eine solche Ordnung und Sittlichkeit zu etablieren.
Die Verfasser hatten keine grundsätzliche Neuordnung des Regierungssystems entworfen, sondern nur versucht, der bestehenden Mißwirtschaft Abhilfe zu schaffen. Dabei hatten sich drei grundsätzliche politische Forderungen ergeben. Die Krone durfte
erstens keine Steuern ohne die Zustimmung der Stände erheben, zweitens sollten sich die Generalstände in regelmäßigen Abständen nach ihrem eigenen Gutdünken versammeln dürfen, und schließlich sollte ein »Großer Rat der Sechsunddreißig« – zwölf aus jedem Stand – von der Ständeversammlung gewählt werden, um die Krone zu beraten.
Die Säuberung unter König Johanns Räten wurde bestätigt, und die Mitglieder des neuen Großen Rates »wurden beschworen, nicht die Gewohnheiten ihrer Vorgänger anzunehmen und spät zur Arbeit zu erscheinen und nur wenig zu arbeiten«. Jeder Regierungsbeamte war verpflichtet, bei »Sonnenaufgang an der Arbeit zu sein«. Sie sollten gut bezahlt werden, aber ihren Lohn verlieren, wenn sie nicht pünktlich ihren Aufgaben nachkämen. Es sollte von nun an keine Währungsänderung mehr vorgenommen werden, ohne daß die Stände ihre Zustimmung gaben, die Ausgaben des Königshauses sollten beschränkt werden, im Parlament sollten Rechtsfragen beschleunigt behandelt
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