Der ferne Spiegel
werden, Beamten sollte es verboten werden, zwei Ämter gleichzeitig innezuhaben oder zusätzlich Handel zu treiben; eine Einberufung zum Waffendienst sollte nur noch unter ganz bestimmten Bedingungen möglich sein, Adlige durften das Land nicht ohne besondere Erlaubnis verlassen, und Privatfehden wurden streng untersagt. Die Fürsorge für die Armen sollte erheblich erweitert werden, Vermögen sollte nur noch unter gesetzlich geregelten Bedingungen beschlagnahmt werden dürfen. Das Recht der Dorfbewohner, sich gegen Räuberei und Gewalt zu bewaffnen, wurde bestätigt. Schließlich entschied die Ständeversammlung noch, daß eine Zusatzsteuer erhoben werden sollte, die es ermöglichte, dreißigtausend Soldaten ein Jahr lang zu bezahlen, aber die Gelder sollten nicht von der Krone, sondern von den Ständen verwaltet werden.
Unwillig und zaudernd verweigerte der Dauphin seine Unterschrift, bis er sich schließlich durch Marcel einschüchtern ließ, der jeden Tag größere Volksmengen auf die Straße brachte, die »Zu den Waffen!« riefen. Unter diesem Druck leistete der Dauphin schließlich als »Regent« seine Unterschrift, ein Titel, den ihm die Stände aufgedrängt hatten, damit er im Namen der Monarchie sprechen konnte. Der neugegründete »Rat der Sechsunddreißig«
nahm seine Geschäfte auf, während die entlassenen Mitglieder des alten Rats nach Bordeaux eilten, um König Johann zu informieren. Kurz bevor er nach London gebracht wurde, erklärte der König die Unterschrift seines Sohnes und die ganze Verordnung für nichtig.
Während des Sommers des Jahres 1357 waren weder der Dauphin noch der neue Rat in der Lage, effektiv zu regieren. Beide suchten die Unterstützung der Provinzen. Auf einer königlichen Inspektionsreise durch das Land, die beweisen sollte, daß die Monarchie noch Macht ausübte, hatte Karl in dieser Hinsicht mehr Erfolg als Marcel. Als die Stände sich im April 1358 erneut versammelten, waren nur wenige Adlige anwesend. Es war deutlich, daß der Adel gegen die »Große Verfügung« war und der Ständeversammlung seine Unterstützung entzog. Die Reformbewegung war damit in tiefen Schwierigkeiten. Außerhalb von Paris erreichte der Zusammenbruch aller Autorität das Ausmaß einer Katastrophe.
Katalysator dieser Entwicklung war das Brigantentum. Die Kriegszüge der letzten fünfzehn Jahre hatten räuberische Militäreinheiten hinterlassen, die »Kompanien«, [Ref 131] »die Unheil über den Busen der Erde schreiben« und zur Plage dieser Epoche wurden. Es waren zusammengewürfelte Haufen aus Engländern, Gasconen und Walisern, die nach der Schlacht von Poitiers aus der Armee des Schwarzen Prinzen entlassen worden waren. Sie hatten in den Feldzügen des Prinzen Geschmack an der Leichtigkeit gefunden, mit der durch Raub und Plünderung Beute gemacht werden konnte. Zusammen mit deutschen Söldnern und französischen Abenteurern hatten sie sich in Gruppen von zwanzig oder fünfzig Männern um einen Anführer gesammelt und zogen nach Norden, um in dem Gebiet zwischen der Seine und der Loire, zwischen Paris und der Küste zu operieren. Nach dem Waffenstillstand von Bordeaux kamen noch die Truppen Philipps von Navarra und Überbleibsel der Streitmacht des Herzogs von Lancaster hinzu. Der Refrain der Chroniken arser et piller (brennend und plündernd) folgt ihrer Spur durch das Jahrhundert.
Die Abwesenheit des Königs und der Tod so vieler Adliger erleichterte ihnen die blutige Arbeit. In dem Jahr nach dem Waffenstillstand schwollen sie an, vereinigten, organisierten und verbreiteten
sie sich. Sie eroberten Burgen und nutzten sie als Ausgangsbasis, um Reisenden ein Wegegeld abpressen und die Gegend ausräubern zu können. Reichen Dörfern verlangten sie Lösegeld ab, die armen brannten sie nieder. Sie raubten Klöster und Abteien aus, plünderten die Scheunen der Bauern, töteten und folterten die, die ihre Güter versteckten oder Lösegelder verweigerten, und verschonten auch Geistliche und Alte nicht. Sie vergewaltigten Jungfrauen, Nonnen und Mütter, entführten Frauen und zwangen Männer in ihre Dienste. Hemmungsloser geworden, gingen sie dazu über, willkürlich Ernte und Gerät zu verbrennen, Gärten und Weinberge zu zerstören und so das zu vernichten, wovon sie lebten. Diese Ausschreitungen sind nur als ein Fieber dieser Zeit oder als Übertreibung der Chronisten erklärlich.
Solche Horden hatte es seit dem 12. Jahrhundert gegeben. Sie waren am verbreitetsten in Italien, wo die Adligen
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