Der ferne Spiegel
urbaner als anderswo waren und den Waffendienst zunehmend Söldnern überlassen hatten. Unter der Führung von berufsmäßigen Hauptleuten wuchsen diese Kompanien manchmal zu regelrechten Armeen von zwei- bis dreitausend Leuten heran, die sich aus Exilierten, Gesetzlosen, landlosen und bankrotten Abenteurern, aus Deutschen, Burgundern, Italienern, Katalanen, Flamen, Franzosen und Schweizern zusammensetzten. In der Mitte des Jahrhunderts war der herausragende Hauptmann in Italien ein abgefallener Prior der Ritter des heiligen Johannes mit Namen Fra Monreale. [Ref 132] Er unterhielt einen eigenen Rat, Sekretäre, Buchhalter, Feldrichter und einen Henker, er forderte und bekam 150 000 Goldflorins von Venedig für einen Feldzug gegen Mailand. In einem einzigen Jahr, 1353, preßte er Rimini 50000, Florenz 25000 und Pisa und Siena je 16 000 Goldflorins ab. Der Revolutionär Cola di Rienzi, der ihm seinen Reichtum abnehmen wollte, lud ihn nach Rom ein. Als Monreale in seiner Selbstüberschätzung allein kam, wurde er ergriffen, vor ein Gericht gestellt und als Räuber hingerichtet. Prächtig in einem braunen, mit Gold verzierten Samtmantel betrat er das Schafott und ließ seinen Leibarzt die Axt des Henkers anleiten. Bis zuletzt zeigte er sich ohne Reue und bestand auf seinem Recht, »sich mit dem Schwert einen Weg durch eine falsche und elende Welt zu schlagen«.
Der sozial zerstörerischste Aspekt der Kompanien war, daß sie, da es keine regulären Armeen gab, ein Bedürfnis erfüllten und so nach und nach akzeptiert wurden. Als Philipp VI. erfuhr, wie gekonnt ein Hauptmann, der einfach unter dem Namen Bacon bekannt war, eine Burg überrascht und erobert hatte, kaufte er dessen Dienste für 20 000 Kronen und machte ihn zu seinem » Waffenmeister«. Ein anderer namens Croquart, der als »armer Page« in den bretonischen Kriegen begann, stieg durch seine Tapferkeit zu einem Hauptmann der Kompanien auf; sein militärischer Ruf war so groß, daß er auserwählt wurde, auf englischer Seite am berühmten Kampf der dreißig teilzunehmen. König Johann bot ihm danach die Erhebung in den Ritterstand an, eine reiche Frau und eine jährliche Zahlung von 2000 Pfund, wenn er in seine Dienste eintreten würde. Croquart zog die Unabhängigkeit vor und lehnte ab. [Ref 133]
Eher Briganten als Söldner, zogen die Kompanien in Frankreich zunächst fast durchweg englische, bald aber auch französische Ritter an, die nach den Lösegeldzahlungen von Poitiers ruiniert waren und nun an der Verwüstung des eigenen Landes teilnahmen. Ritter aus dem niederen Adel, jüngere Söhne und Bastarde liefen als Führer zu den Briganten über und fanden in ihrer Gesellschaft ein Auskommen, eine Aufstiegsmöglichkeit und ein Ventil für die ruhelose Aggression, die einst von den Kreuzzügen aufgefangen worden war.
Der berüchtigtste der französischen Briganten war Arnaut de Cervole, ein Adliger aus Périgord, der wegen eines früheren kirchlichen Lehens von den Seinen der »Erzpriester« genannt wurde. Bei Poitiers verwundet und gefangengenommen, kam er durch ein Lösegeld frei und schwang sich nach seiner Rückkehr nach Frankreich in den anarchischen ersten Monaten des Jahres 1357 zum Hauptmann einer Kompanie auf, die sich freimütig Società dell Acquisito nannte. In Zusammenarbeit mit einem Adligen der Provence, Raimond des Baux, entwickelte sich die Bande zu einem Heer von zweitausend Mann und der »Erzpriester« zu einem der größten Missetäter seiner Zeit. Während einer seiner Streifzüge durch die Provence fühlte sich Papst Innozenz VI. in Avignon so unsicher, daß er mit ihm im vorhinein um Immunität verhandelte. Cervole wurde in den Papstpalast geladen und »mit einem Zuvorkommen
begrüßt, als ob er der Sohn des Königs von Frankreich wäre«. Nach mehreren Diners mit dem Papst und den Kardinälen wurden ihm alle Sünden vergeben und die Summe von 40000 Écus bezahlt, damit er die Gegend verließ.
In der Anarchie der Zeit nach Poitiers waren Ritter und Briganten nicht mehr voneinander zu unterscheiden, was dem Ritterstand zusätzlichen Volkszorn zuzog, nicht aber Mißbilligung untereinander. Der »junge, kühne und amouröse« Eustache de Aubrecicourt, ein Ritter aus Hainault und Begleiter des Schwarzen Prinzen bei Poitiers, wurde mit solchem Elan und materiellem Erfolg Brigant, daß sich die verwitwete Gräfin von Kent, eine Nichte der Königin von England, in ihn verliebte. Sie sandte ihm Pferde, Geschenke und leidenschaftliche
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