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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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vergönnt waren?!« Er faltete die Hände, sah Brackmann mit gerunzelter Stirn an. »Und dann kamen Sie und haben mich total überrumpelt, und ich konnte gar nicht anders, als Ihnen den Brief zu geben.«
    Brackmann stand auf, ging zum Altar, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, betrachtete erst das Kruzifix an der Wand, schloß dann für einen Moment die Augen und sagte: »Ich hätte nie für möglich gehalten, in einem solchen Sumpf aus Scheiße zu ertrinken! In Frankfurt war das etwas anderes, da wurde mit offenen Waffen gekämpft, da erschlagen sich irgendwelche Typen gegenseitig auf der Straße, oder die Junkies setzen sich in irgendeinem Hauseingang oder an den Rolltreppen zum Hauptbahnhof einen Schuß, die Huren laufen auf der Straße herum . . . Aber das hier, das grenzt schon fast an Teufelei. Eine Familie, eine einzige, stinkende Familie hat einen ganzen Ort in ihrer Gewalt!« Er lachte gequält auf, drehte sich um, sah Engler an, stieß sarkastisch hervor: »Die Vandenbergs wissen alles von jedem – woher? Werden hier vielleicht alle überwacht? George Orwell läßt grüßen!« Brackmann holte tief Luft, stieß sie langgezogen wieder aus. »Wenn Alexander Höllerichauf dem Friedhof begraben liegt, wie kam Maria Olsen dann auf die Sache mit dem Steinbruch?«
    »Es war eine bloße Vermutung von ihr, da nur wenige Tage später der Steinbruch aus ihr wenig plausiblen Gründen geschlossen wurde. In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung, was mit Höllerichs Leichnam geschehen ist.«
    »Und warum dann die Geschichte mit dem Teppich und der darin eingerollten Leiche?«
    Engler zuckte gequält lächelnd die Schultern. »Eine kleine Notlüge.«
    »Scheiße, Herr Pfarrer! Aber gut, kommen wir zu Ihnen zurück – was haben die Vandenbergs gegen Sie in der Hand?«
    »Das könnte Ihnen so passen!«
    »Ich will die Hintergründe kennen, und zwar alle!« fuhr Brackmann ihn laut an, es hallte von den Wänden wider.
    »Sie sind unfair und ungerecht!« schrie Engler zurück.
    »Habe ich Ihnen nicht schon genug geholfen?!«
    »Ich will einen Mord aufklären!«
    Eine Pause trat ein. Dann hob Engler den Kopf und sah Brackmann an. »Sie werden Stillschweigen bewahren?«
    »Mein Gott, für was oder für wen halten Sie mich eigentlich? Für einen miesen kleinen Denunzianten?! Ich sage Ihnen, ich kann der verschwiegenste Mann in Waldstein sein – vorausgesetzt, Sie lügen mich nicht wieder an.«
    »Dann verlasse ich mich auf Ihre Verschwiegenheit. Ich verlange von ihnen absolute Diskretion! Wenn nur eine Menschenseele von dem erfährt, was ich Ihnen jetzt sage …«
    »Also?« hakte Brackmann kühl nach.
    Engler ließ sich mit der Antwort Zeit. Er zögerte, quetschte schließlich gequält durch seine blassen Lippen: »Ich fühle mich nicht zu Frauen hingezogen.«
    »Na und, Sie sind katholischer Priester und somit nicht . . .«
    »Sie verstehen nicht, Brackmann! Ich fühle mich nicht nur nicht zu Frauen hingezogen . . .« Er hielt inne und senkte den Blick. »Ich bin auf Männer fixiert. Ich dachte, ich könnte das Übel loswerden, wenn ich erst Priester würde, aber . . .«
    »Und? Es ist kein Drama, homosexuell zu sein.«
    »Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich zugehört, was ich die ganze Zeit versucht habe, Ihnen zu erklären? Ich bin Priester, ich versauere in einem entsetzlich öden Loch, hier wird getratscht auf Teufel komm raus! Wir leben nicht in Frankfurt oder Hamburg oder San Francisco . . . das hier ist Waldstein, das engstirnigste Fleckchen Erde unter Gottes großem, weitem Himmel! In Frankfurt oder Hamburg oder besser noch in San Francisco würde es die Leute einen Teufel scheren, ob sie es mit einem schwulen Priester zu tun haben, im Gegenteil, dort könnte ich mir womöglich noch eine Lobby aufbauen! Aber nicht hier! In dem Moment, wo zum Beispiel eine Esther Pickard oder eine Fleischer oder eine Merkel von meiner geschlechtlichen Verirrung erfahren, werden sie mich teeren und federn und zur Stadt hinausjagen! Das sind die Gesetze hier!« Pause, er faltete die Hände, blickte Brackmann geradeheraus an. »Aber wissen Sie was, ich mag die Leute trotzdem, ich mag sie, weil ich in all den Jahren ihre großen und kleinen Eigenheiten kennengelernt habe. Und weil ich sie kenne, in all ihrer Kleingläubigkeit, wie so viele von ihnen in ihrem Aberglauben verstrickt sind, weil ich weiß, was für ein kleines, scheinheiliges und doch auf eine gewisse Weise liebenswertes Völkchen hier lebt, könnte ich ihnen ihre Haltung mir

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