Der Finger Gottes
Ihr seid doch alle gegen uns!«
Frau Merkel, die so fett war, daß sie gar nicht richtig geradesitzen konnte, schrie mit schriller, sich überschlagender Stimme: »Ist doch egal, ist doch egal! Wenn ich das schon höre! Ist es eben nicht . . .!« Sie holte tief und rasselnd Luft und fuhr etwas ruhiger fort: »Wir suchen nach einer Lösung – gut. Ich habe eine. Ich meine, eine, die allen Beteiligten entgegenkommt. Ich finde sowieso, Caroline ist noch viel zu jung für ein Baby . . .«
Frau Obert erhob sich, spitzte die Lippen und sah Andys Mutter mit kaltem Blick an. »Ich kann dir zwar nicht ganz folgen, aber . . .«
Frau Merkel machte eine unwirsche Handbewegung. »Oh, ich bin sicher, du kannst.« Sie hustete etwa dreißig Sekunden lang, das Rasseln wurde stärker.
»Tu mir einen Gefallen und sprich nicht aus, was du denkst«, sagte Frau Obert mit für sie ungewohnter Schärfe. »Sprich es um Himmels willen nicht aus!«
»Frau Merkel«, sagte Engler, »sollten Sie etwa an Abtreibung denken . . .«
Sie verzog, als der Husten abgeebbt war, verärgert den Mund. »Ach, kommen Sie, wir sind aufgeklärte Menschen!Heutzutage treibt doch fast jede Frau irgendwann einmal ab! Warum also nicht auch Caroline? Sie ist gerade sechzehn und, wie ich schon sagte, viel zu jung . . .«
»Frau Merkel, haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was Gott über eine . . .«
Die fette Frau lachte geradezu hysterisch auf, hustete erneut und sagte dann mit geröteten Augen und mit vom Husten und Schreien heiserer Stimme: »Kommen Sie mir jetzt bloß nicht so! Gott lassen wir mal schön aus dem Spiel. Hans«, sie wandte sich an ihren Mann, der noch immer am Fenster stand, »sag du doch auch mal was!«
Merkel zuckte nur mit den Schultern.
Engler verzweifelte allmählich, die Sache war doch schwieriger als erwartet und schien außer Kontrolle zu geraten. »Gott . . .«
»Gott, Gott, Gott! Wenn es ihn wirklich gibt, wo war er denn in dem Augenblick, als die beiden es miteinander getrieben haben? Wo versteckt er sich denn, wenn einer den andern umbringt? Wissen Sie, an Gott glaube ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr, um genau zu sein, so recht konnte ich ihn mir noch nie vorstellen. Aber was soll’s, es gibt jetzt Wichtigeres. Vor allem, was mit Caroline und dem Balg und vor allem mit Andy werden soll.«
»Gestatten Sie mir die Frage, aber warum kommen Sie dann jeden Sonntag in die Kirche, wenn Sie nicht an Gott glauben? Warum bleiben Sie nicht zu Hause?«
Die Antwort, die die hysterische Merkel Engler entgegenspie, steckte voller Hohn und Verachtung: »Weil jeder kommt, oder fast jeder! In diesem Scheißkaff kann man sich nicht so einfach vom öffentlichen Leben ausschließen. Sie können das nicht, die Pickards nicht, wir nicht, niemand. Und ich erlaube mir eben, auch nur eine Heuchlerin unter vielen zu sein. Es mag sicherlich Ausnahmen geben, ich gehöre jedenfalls nicht dazu! Aber soll ich Ihnen noch wassagen? Ich werde auch weiterhin kommen – weil auch die andern Heuchler kommen!«
»Frau Merkel . . .«
»Herr Engler, wir kennen uns jetzt schon so lange, und Sie wissen selbst, was in diesem Nest . . .«
»Nein, Frau Merkel, das weiß ich nicht!«
»Mein Gott noch mal, bin ich so schwer zu verstehen?! Ich habe doch gesagt, ich bin eine Heuchlerin, die Oberts sind Heuchler, alle sind es, selbst Sie, Herr Pfarrer! Nun ja, ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen«, sagte sie, den Mund zu einem süffisanten Lächeln verzogen.
Jeglicher Farbton wich aus Englers Gesicht, ließ es unnatürlich weiß erscheinen. Er schluckte schwer, versuchte, sich den Schock, die Verlegenheit nicht anmerken zu lassen; er versuchte, die Situation zu retten, indem er sagte: »Ich wüßte nicht, was . . .«
»Bitte, tun Sie mir einen Gefallen und verlangen Sie es nicht von mir. Sie wissen selbst, wie gierig sich Hyänen wie Esther Pickard oder Margarete Fleischer auf
so etwas
stürzen würden. Ich schlage vor, wir lassen es.«
Merkel setzte sich zu seiner Frau, nahm ihre Hand, sagte in besänftigendem Tonfall: »Laß es jetzt gut sein. Und beruhige dich, sonst wirst du einen Anfall bekommen.«
»Ach hör auf, den bekomm ich allein schon von dem Gedanken an diese verfluchte Saubande!« Sie hustete, das Rasseln ging in Pfeifen über.
Obert schüttelte nur den Kopf. »Soll das jetzt das Ende unserer Freundschaft sein? Wollen wir nicht erst mal eine Nacht drüber schlafen? Andy und Caroline sind schon fertig genug, sie brauchen nicht
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