Der Finger Gottes
Mann zog eine kleine Pistole aus seinem Stiefel, setzte sie
Blümchen
ans Genick, drückte ab. Atemlose, betroffene Stille nach dem erlösenden Schuß.
Es war 1.09 Uhr, als
Blümchen
tot zu Boden sank. Ein starker Wind war aufgekommen und drängte heulend durch die Ritzen und Spalten der Scheune. Der vorletzte Fight sollte in wenigen Minuten beginnen. Scherer hielt seinen Hund fest, wartete auf das Kommando. 1.13 Uhr.
Rote Sonne
stand in einer Ecke der Scheune und pinkelte an die Wand. Ein rötlicher Strahl lief an dem Holz entlang zu Boden.
Kapitel 20
1.13 Uhr.
»Mein Gott, Bernd, was sollen wir machen?« Dieter schrie gegen den Wind an, der über ihre Köpfe hinwegpfiff.
»Keine Ahnung! Liegenbleiben und beten!« schrie Bernd zurück. Sie lagen jetzt etwa zwanzig oder dreißig Meter von ihrem Auto entfernt. Dieter hatte die Augen geschlossen, den Kopf auf den Boden gedrückt. In dem Graben war der Sturm nicht so stark zu spüren wie auf freier Fläche.
»Ich habe Angst!« schrie Dieter.
»Reiß dich zusammen!« schrie Bernd zurück. »Wir dürfen jetzt keine Angst haben!«
»Ich hab aber welche!!«
Bernd sah über den Rand des Grabens hinweg, um zu prüfen, wie weit der Rüssel noch von ihnen entfernt war.
Der linke, etwas kleinere Trichter, eine wild wirbelnde schwarze Masse, bewegte sich in leichtem Zickzackkurs von der Stadt kommend direkt auf sie zu. Er näherte sich ihnen mit infernalischem Lärm, drehte sich gewaltig schnell um seine eigene Achse, riß dabei wie ein Staubsauger alles vom und aus dem Boden, was in den Bereich seines unersättlichen Schlundes geriet.
Bernd und Dieter hielten sich die Ohren zu, denn sie fürchteten, ihre Trommelfelle könnten dem enormen Krach und Druck nicht standhalten. Die ständig in seinem Innern aufflammenden Blitze ließen ihn immer ähnlicher einem zornigen, feuerspeienden Drachen werden.
Plötzlich wurde ihr Transporter wie von einer Riesenfaust gepackt, durchgeschüttelt, von übermächtigen Kräften wie eine Feder hochgehoben und fortgetragen, als wäre er ein Spielzeug, und schließlich wie ein Diskus fortgeschleudert, bis er sich irgendwo in den Feldern in den Boden bohrte. Sand und Staub stachen in ihre Gesichter und Körper. Unmenschlicher Druck zerrte an ihnen – und urplötzlich ließ der Druck nach.
Für Sekunden war es fast windstill. Bernd hob den Kopf, sah nach oben. Eines der Ungetüme befand sich ein paar Meter über ihnen, rotierte mit wahnsinniger Geschwindigkeit um die eigene Achse, noch nie zuvor hatte Bernd so viele und so grelle, so vielfarbige horizontale und vertikale und kugelförmige Blitze auf einmal gesehen.
Totenstille. Das Auge des Tornados. Durchdringender Gasgeruch. Bernd und Dieter glaubten ersticken zu müssen. Das Auge, in das sie blickten, schien sich Lichtjahre weit in den Himmel zu erstrecken, ein sich nach oben hin trichterförmig erweiternder Schlauch, vielleicht tausend, vielleicht auch zweitausend Meter lang. Die Wände bestanden aus rotierenden, unablässig flackernden Wolken. Es begann zu zischen, als kröche ein ganzes Rudel giftiger Schlangen anihnen vorbei, doch es war nur das Geräusch kleinerer, wilder Schwänze, die sich am unteren Ende des Tornados ständig neu bildeten.
Die Zeit schien keine Dimension mehr zu besitzen, während sie in das Auge blickten, alles schien stillzustehen, und dann war das Auge weitergezogen, die Urgewalten zerrten erneut an ihnen, und Dieter schrie und hielt sich wieder die Ohren zu – und plötzlich war es vorbei.
Es kam ihnen vor, als hätten sie stundenlang im Graben gelegen, dabei waren nur Sekunden vergangen.
Bernd starrte fassungslos auf den leeren Fleck, wo eben noch ihr Auto gestanden hatte. Dieter rührte sich nicht, hielt noch immer die Ohren mit seinen Händen bedeckt, das Gesicht auf den Boden gepreßt. Bernd tippte ihn an, Dieter hob langsam sein Gesicht.
»Es ist vorbei«, sagte Bernd leise, fast ehrfurchtsvoll. Dieter nahm die Hände von den Ohren, sah Bernd aus großen Augen an.
»Und wir leben noch?«
»Denke schon.«
»Und unser Auto?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat er ihn gefressen.«
»War das die Hölle? Mein Gott, das war die Hölle!«
»Vielleicht . . .«
Dieter und Bernd drehten sich um, schauten dem riesigen schwarzen Rüssel nach, der jetzt kaum noch auszumachen war. Der Regen nahm ihnen die Sicht, sie sahen nicht die Schneise der Verwüstung, wie er knorrige Eichen wie Streichhölzer umknickte, sie mit seinen scharfen Zähnen zermalmte und
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