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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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Ausschreitungen kommt. Vermutlich halten viele Italiener dies für unmöglich. Doch auch in Ägypten und Libyen rechnete niemand mit Protesten. Oder in Griechenland. Oder Spanien. Ja, nicht einmal in London.

4 Al Nahda
    Die Französische Revolution war der Beginn der Moderne, eine Umwälzung von bis dahin ungekannten Ausmaßen fegte die alten Herrschaftsverhältnisse auf dem Kontinent hinweg. Die Revolution ist ein Flächenbrand, der sich schnell ausbreitet, da die Prinzipien, für die sie steht, universell gültig sind: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Grundwerte der Zivilgesellschaft fraßen sich in die traditionellen Monarchien hinein, bis sie mit der Revolution des Bürgertums von 1848 zum Rückgrat des modernen Staates wurden.
    Ihre Botschaft ist universell, weil sie menschlich ist. In politischer Hinsicht allerdings wird die Französische Revolution aus einem anderen Grund zum Grundstein der Moderne: Das Prinzip der Legitimierung von Herrschaft verändert sich. Mit der Hinrichtung des französischen Königs, Herrscher von göttlichen Gnaden, auf der Guillotine verbannt man Gott aus der Politik und setzt stattdessen den Willen des Volkes an seine Stelle. Wenn sie den Kopf auf dem Hals und den Hintern auf dem Thron behalten wollen, müssen die Herrscher Europas ihre Macht mit ihren Untertanen teilen. Und genau das tun sie auch nach den Erhebungen von 1848.
    Auch die arabische Revolution von 2011 wendet sich gegen die Legitimierung der Erbdiktaturen, die ihre Macht mit Gewalt aufrechterhalten. Die Herrschaft in Syrien, Libyen, Ägypten und Tunis wurde mit brutaler Repression, mit Angst und Schrecken gefestigt. Überall wurde gleichermaßen versucht, die Macht vom Vater auf den Sohn zu übertragen – zum Schaden der Bevölkerung. In Syrien lässt Assad, ohne zu zögern, auf die Aufständischen schießen. In Bahrain herrscht weiter unbarmherzige Repression. Sogar die Ärzte, die die Aufständischen behandeln sollen, werden verhaftet. In Libyen ließ Gaddafi die Cyrenaika bombardieren. Doch das Volk konnte er nicht aufhalten.
    Nur wenige Menschen haben den Mut, sich einzugestehen, dass die Aufstände in den arabischen Ländern auch die internationale Legitimation der Diktaturen in Frage stellen. Also den reichen Westen, ja genau: uns. Jahrzehntelang war es für unsere Regierungen mehr als bequem, den Status quo in diesen Ländern aufrechtzuerhalten. Das demokratische Frankreich und das diktatorisch regierte Tunesien unterhielten enge politische und wirtschaftliche Beziehungen, die von den Oligarchen beider Länder durch wechselseitige »Gefälligkeiten« und allerlei Geschäfte festgeschrieben wurden.
    Während in Tunesien die Revolte losbrach, bot Michèle Alliot-Marie, die damalige französische Außenministerin, Diktator Ben Ali das Know-how ihres Landes für die Lösung »seiner Sicherheitsprobleme« an. Bald darauf war sie gezwungen, ihre Ferien in Tunesien abzubrechen und das Land im Privatjet von Alis Geschäftspartner zu verlassen. Alliot-Marie hielt sich häufig in Tunesien auf, hatte das Unternehmen ihrer Familie doch kurz zuvor eine Ausschreibung für sich entscheiden können, in der es um mehrere Bauvorhaben ging. Der Vertrag wurde von tunesischer Seite vom Geschäftspartner Ben Alis unterzeichnet. Auch der ehemalige französische Premierminister François Fillon musste seine Ferien am Roten Meer abbrechen, wohin er einer Einladung von Mubarak gefolgt war.
    Dabei ist das private Joint Venture unserer Politiker mit den arabischen Diktatoren nur die Spitze des Eisbergs, wenn es um das Vermögen der Herren geht. Der Großteil davon stammt nämlich aus Exklusivverträgen mit der EU, aus Importgeschäften und Deals mit der europäischen Großindustrie bzw. mit den Regierungen westlicher Länder. Natürlich kam der Gewinn aus diesen Geschäften nicht der Bevölkerung zugute, sondern floss in die Taschen der Elite.
    Als Mubarak zum Rücktritt gezwungen war, besaß er ein Immobilienvermögen im Ausland, das nahezu 70 Milliarden Dollar erreichte. Dieses Geld ist für Ägypten ein für alle Mal verloren. Auch die Schweizer Bankkonten des Diktators sind vor dem Zugriff durch die Bevölkerung sicher. Die Tunesier hatten da etwas mehr Glück. Als sie die Residenz Ben Alis stürmten, fanden sie dort eine Schatzkammer, die jener in Alexandre Dumas’ Roman Der Graf von Monte Christo gleicht: Berge von Juwelen, Schmuck und Kunstgegenständen, die der Diktator bei Sotheby’s oder Christie’s hatte ersteigern

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