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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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Übergangsregierung lehnt auch jede Einmischung der Amerikaner in den Demokratisierungsprozess ihres Landes ab. Sie verurteilt die Initiative der US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID), die in ägyptischen Zeitungen Werbeanzeigen schaltete: Dort bot die USAID bis zu 100 Millionen Dollar für Projekte für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung sowie bis zu 65 Millionen für Vorhaben, die zur Demokratisierung des Landes beitragen. Der Staat nimmt darüber hinaus keine Wirtschaftshilfen aus dem Westen an, wenn Ägypten die Finanzen dabei nicht selbst verwalten kann. Die Ägypter wissen aus Erfahrung, wie gefährlich Geld aus dem Ausland sein kann.
    Im Übrigen mutet die amerikanische Großzügigkeit gönnerhaft und geringschätzig zugleich an. Man stelle sich die Reaktion der Franzosen vor, wenn die USA in Le Monde ein ähnliches Angebot machten! Der diplomatische »Zwischenfall« wäre programmiert. Doch Geld war schon immer das wirkungsvollste Mittel, um die Politik in Nordafrika zu beeinflussen und zu kontrollieren. Die ausländischen Diplomaten in diesem Erdteil amtieren seit jeher als Geldboten.
    Aber der Schutz Israels und die politische Stabilität der Region sind nicht die einzigen Einflussfaktoren in der Außenpolitik der Mittelmeeranrainer. Auch das Erdöl spielt eine entscheidende Rolle in der Geschichte der neuzeitlichen Diplomatie. Nach dem Embargo von 1973/74 und der iranischen Revolution von 1978 stellt der Westen fest, dass seine Energieversorgung nicht genügend abgesichert ist. Nun wird es plötzlich wesentlich, die Ausbreitung der islamischen Revolution zu verhindern. Dies nutzen die diktatorischen Herrscher der angeblich demokratischen Nationen wie Ägypten und Tunesien für ihre Zwecke aus: Sie festigen ihre Macht, weil der Westen der Bedrohung durch die Islamisten in dieser Region etwas entgegensetzen will. Ihren unterdrückten Bürgern bleibt häufig nur die Moschee als Treffpunkt. Sie ist der einzige Ort, an dem man in der erstickenden politischen Atmosphäre einmal durchatmen oder eine Diskussion führen kann. So bildet sich eine religiöse Opposition heraus, welche die diktatorischen Eliten fürchten müssen wie nichts zuvor.
    Um die Opposition in ihren Ländern einzudämmen, unterstützen die muslimischen Diktaturen Nordafrikas und des Nahen Ostens in den achtziger Jahren den antisowjetischen Dschihad: Sie finanzieren Rekrutierungseinrichtungen der Mudschaheddin und schicken ihre hitzköpfigen jungen Männer nach Afghanistan. Paradoxerweise erwartet die Heimkehrer Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts eine brutale Repression im Auftrag ihrer einstigen Gönner.
    Arbeitsemigration – der soziale Aspekt
    Nordafrika und der Mittlere Osten bieten ein riesiges Reservoir an billigen Arbeitskräften. Länder wie Italien verlagern ihre Produktionsstätten deshalb nicht nur ins Ausland, sondern auch innerhalb ihrer Landesgrenzen dorthin, wo sich billige Arbeitskräfte finden. In allen ländlichen Gebieten des Mittelmeerraums treffen wir auf das Phänomen der Taglöhner, das mitunter noch schlimmere Züge annimmt. Eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der Ausbeutung afrikanischer Arbeitskräfte durch den reichen Norden wurde in Rosarno geschrieben, einem italienischen Städtchen, dessen Name 2010 nach schweren Zusammenstößen zwischen Einheimischen und Migranten um die ganze Welt ging.
    Nunzia Penelope beschreibt in ihrem Buch Soldi Rubati (»Gestohlenes Geld«), was im Vorfeld der schrecklichen Ereignisse geschah: »Die Richter enthüllten, dass die landwirtschaftliche Genossenschaft die Einwanderer, die bei der Orangenernte in Rosarno eingesetzt wurden, ausdrücklich angefordert hatte. Sie hatte nicht nur klare Bedingungen zu deren Anzahl, sondern auch zu deren Herkunft gestellt: Die Grundbesitzer in Rosarno sind nämlich der Überzeugung, dass gewisse Völker bessere Arbeit leisten und leichter zu beaufsichtigen sind als andere. Sie ›bestellten‹ also ausdrücklich Hilfskräfte afrikanischer Herkunft und nicht solche aus Asien oder dem Balkan. […] Die Genossenschaftsmitglieder hatten schon im Voraus den Ertrag der Orangenernte pro Hektar geschätzt und auch bereits festgelegt, wie dieser im Anschluss verwendet werden sollte.«
    Die Arbeitsbedingungen erinnern schlicht an Sklaverei. Die Schwarzarbeiter erhielten 25 Euro am Tag bzw. 40 Cent pro Kiste bei Akkordarbeit. Von dieser mageren Entlohnung wurde dann noch die Vergütung für den »Korporal« abgezogen, der

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