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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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regnete es plötzlich Nato-Bomben vom Himmel über Tripolis, das bis zu Gaddafis Sturz die letzte Festung war, in der der ehemalige Verbündete des Westens sich vor seinen aufständischen Untertanen verschanzen konnte. Warum aber bereitet man dem syrischen Diktator Assad, dessen Schergen den demokratischen Volksaufstand im Blut ertränken, nicht dasselbe Schicksal? Offiziell liegt es am Veto Russlands und Chinas. Assad war offiziell nie mit dem Westen verbündet, obschon seine Regierung nach dem 11. September 2001 den USA ihre bedingungslose Unterstützung anbot. Die Beziehung zwischen Syrien und den Vereinigten Staaten beruhte auf einem scheinbar instabilen Gleichgewicht. Syriens Kooperation brachte der Nahostpolitik des Westens durchaus einen Nutzen: Sie trug dazu bei, die Lage in der Region zu stabilisieren.
    Das ist aber nicht die einzige Ursache für die anfängliche Gleichgültigkeit des Westens gegenüber dem Leiden der syrischen Zivilbevölkerung. In den USA standen Wahlen bevor. Natürlich wollte Barack Obama die Anzahl der US-amerikanischen Militärinterventionen möglichst eingrenzen. Außerdem ist das syrische Erdöl nicht gerade von bester Qualität – ganz im Gegensatz zum libyschen mit seinem leichten, einfach und kostengünstig zu raffinierenden Rohöl, das auch für Europa, Obamas wichtigsten Verbündeten, eine wertvolle Ressource darstellt. Die Europäer setzten also die USA unter Druck. Sie sollten sich an einer militärischen Intervention in Libyen beteiligen.
    Vermutlich erinnerte der französische Expräsident Sarkozy Obama daran, dass er die Unterstützung der Europäer in Afghanistan zur Verhandlung mit den Taliban brauchte, damit er den US-Bürgern im Wahlkampf wenigstens die Illusion vermitteln konnte, ein Sieg über die Guerilla stünde unmittelbar bevor. Ohne die Hilfe ihrer europäischen Freunde, so die Drohung der EU, würden die amerikanischen Soldaten 2012 nicht nach Hause zurückkehren können. Im Gegenzug verlangten sie von Obama diplomatische und militärische Rückendeckung beim Bombardement Libyens. Do ut des (»Ich gebe, damit du gibst« oder »Eine Hand wäscht die andere«) ist ein politisches Prinzip, das seinen Ursprung im Mittelmeerraum hat – genauer gesagt im alten Rom – und das auch heute noch gilt.
    Trotz des Militäreinsatzes und des Siegs über Gaddafis Streitkräfte ist nunmehr aber klar, dass weder das libysche noch das iranische Öl die Schuldenkrise beheben kann, die Europa und die USA im Würgegriff hat. Beim G8-Gipfel 2012 in Camp David (USA) trafen sich die am höchsten verschuldeten Staaten der Welt: Japan (238 Prozent seines BIP [geschätzt]), Italien (121 Prozent) und USA (105 Prozent). Die wirtschaftlichen Probleme des Westens sind also ganz ähnlicher Natur wie die der arabischen Länder. Die Bombardierung Libyens und die Anti-Gaddafi-Statements vor laufenden Kameras gehören zur Reality-Show unserer Politiker, sie sind Bestandteil ihrer Selbstinszenierung für den Wähler.
    Der Wettlauf bei der Bombardierung Gaddafis und die offizielle Anerkennung der Rebellen sind Teil des erbitterten Kampfs um Energie, den alle westlichen Länder ausfechten. Hinter den schönen Worten verbirgt sich eine bittere Wahrheit: Der Import von Energie aus dem Nahen Osten ist für Südeuropa lebensnotwendig. Während der nördliche Teil des Kontinents sich in Norwegen eindeckt bzw. Zugang zur Nordsee und den russischen Energiereserven hat, muss sich der Süden nach Nordafrika und dem Nahen Osten orientieren. Unter dem Mittelmeer verlaufen lebenswichtige Energiearterien, Gaspipelines wie Medgaz (zwischen Algerien und Spanien) oder Greenstream (zwischen Libyen und Italien), welche die beiden Ufer verbinden. Italien beispielsweise importiert 86 Prozent seines Bedarfs aus diesen Regionen. Allein Libyen stillt 25 Prozent des italienischen Erdöl- und 10 Prozent des Erdgasbedarfs.
    Vor dem Volksaufstand wurden in Libyen 1,7 Millionen Barrel Öl am Tag gefördert, der größte Teil davon floss nach Italien, Australien und Irland. Dazu muss man wissen, dass das libysche Rohöl nicht so einfach durch saudisches ersetzbar ist. Letzteres ist nämlich schwerer und erfordert einen längeren und kostspieligeren Raffinationsprozess. Die Importnationen hatten unter dem Ausbruch des Bürgerkriegs also am meisten zu leiden. Italien beispielsweise musste Erdgas in Algerien kaufen – zu wesentlich höheren Marktpreisen.
    Im Übrigen ist Libyen das neue Mekka der Energiemultis, weil es über die

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