Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der fliegende Brasilianer - Roman

Der fliegende Brasilianer - Roman

Titel: Der fliegende Brasilianer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edition Diá <Berlin>
Vom Netzwerk:
goldenen Vegetation und den trockenen Ästen des Bois de Boulogne aus. Unter ihm schlängelt sich die Seine mit ihrem metallgrünen Wasser.
    Alberto blickt zum ersten Mal nach unten und sieht den herbstlichen Kahlschlag im Bois de Boulogne und das Leuchten der Blätter auf der Rennbahn von Longchamp in verschiedenen Gelbnuancen wie verrostete Eisenschrottteile.
    Die Nr. 6 setzt zum Abstieg an, ringsum eine laufende, schreiende, applaudierende und Hüte schwenkende Menschenmenge.
    Er sieht auf die Uhr und weiß, er hat gesiegt. Er ist um den Eiffelturm geflogen und hat soeben den Prix Deutsch gewonnen …
    Menschen aus der Menge ergreifen das Schlepptau der Nr. 6, und die Mechaniker bringen das Luftschiff zum Stehen. Ehe Alberto aussteigt, ruft er:
    Gewonnen?
    Und die Menge antwortet schreiend:
    Ja!
    Liberal und mildtätig  Aída spürt, dass Albertos Herz schneller schlägt. Über dieses Ereignis zu sprechen ist für ihn erneut ein großes emotionales Erlebnis.
    Ich war mir nicht sicher und fragte: Habe ich gewonnen? Und die Menge antwortete mir: Ja! Die Menge. Es war der 19. Oktober, mitten im Herbst, im Jahre 1901. Diesen Tag werde ich nie vergessen.
    Es ist Abend geworden, sie sind jetzt von Dunkelheit umgeben und erleben eine vertrauliche Stille und Intimität wie nie wieder danach. Von der Decke hängt das Modell der Nr. 9 und schaukelt in dem leichten Wind, der in die Atelierfenster hineinweht. Aída möchte für immer so sitzen bleiben, aber Alberto bricht den Zauber des Augenblicks, steht auf, schaltet die Lampe am Zeichenbrett ein, hantiert mit Papieren und kritzelt irgendetwas auf einen Notizblock. Wieder einmal hat er sich ihr entzogen.
    Um ihre Enttäuschung zu verbergen, fragt sie nach dem Preis. Er antwortet, es waren 100 000 Francs, und sieht Aída mit einem defensiven Lächeln an, das genauso gut eine subtile Bitte um Verzeihung sein kann. Und während er spricht, klingt seine Stimme falsch, wie nach aufgesetzter Fröhlichkeit.
    Und weißt du, was ich gemacht habe? Ich habe den Polizeichef kommen lassen und ihn gebeten, das Geld an die arbeitslosen Pariser Arbeiter zu verteilen. Aber da, du kennst ja die Franzosen, wollte der Polizeichef Schwierigkeiten machen und sagte, er wüsste nicht, wie er bei der Verteilung vorgehen solle, es gäbe so viele Arbeitslose und noch allerhand andere Ausreden, nur um den Auftrag loszuwerden …
    Und, wie ist es dann ausgegangen?
    Ganz einfach. Ich habe ihm vorgeschlagen, zu den Leihhäusern zu gehen. Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber wenn die Lage schwierig wird, dann verpfändet der Arbeitslose als Allererstes sein Arbeitswerkzeug. Der Polizeichef brauchte also nur die verpfändeten Werkzeuge auszulösen und sie ihren Besitzern zurückzugeben.
    Hattest du denn eine Vorstellung davon, wie viele Pfandhäuser es in der Stadt gab?
    Nein, keine Ahnung, aber der Polizeichef hat es bestimmt bereut, dass er mich um Rat gefragt hat.
    Und du meinst, er hat es wirklich gemacht?
    Jetzt lacht Alberto auf.
    Du bist und bleibst Lateinamerikanerin, meine liebe Aída. Die Jahre in New York haben nichts bewirkt.
    Wieso?
    Der Polizeichef war Franzose, vergiss das nicht. Er hat garantiert, wenn auch widerstrebend, genau das getan, was ich ihm gesagt habe. Was mit Sicherheit nicht geschehen wäre, wenn sich diese Geschichte in einem der sonnenverwöhnten Länder abgespielt hätte, die wir kennen …
    Beide lachen, dann werden sie nachdenklich und verlegen.
    Ökonomie eines Kindes seiner Zeit  Ich gestehe, dass seine Geste für mich überraschend war, sollte Antônio Prado sich Jahre später erinnern. 100 000 Francs zu verschenken, ohne mit der Wimper zu zucken, das war kein Pappenstiel. Die Presse feierte seine Großzügigkeit, und die Bedürftigen erhoben Alberto zu einem Halbgott. Aber Alberto war kein Magnat, er hielt seine Ausgaben in Grenzen … Später, bei näherem Nachdenken, konnte ich, wie ich meine, diese Geste verstehen. Indem er das Geld den Armen schenkte, gab er es sozusagen an Frankreich zurück. Er demonstrierte damit, dass er das Geld an das französische Volk zurückfließen lassen konnte. Und es war ein Akt der Großzügigkeit, der ihn nichts kostete. Alberto hatte kurz zuvor von der brasilianischen Regierung auf Initiative des unvergessenen Augusto Severo, der damals Abgeordneter und ein großer Liebhaber der Luftfahrt war, den gleichen Betrag als eine Art finanziellen Ansporn erhalten.
    Glückloser Pionier  Augusto Severo, Politiker und Flieger,

Weitere Kostenlose Bücher