Der fliegende Brasilianer - Roman
Platz neben der Schauspielerin, zur Enttäuschung des jungen Mannes, der bis dahin ihre Aufmerksamkeit für sich allein hatte.
Wenn ich mich nicht täusche, haben Sie demnächst eine Premiere, Mademoiselle?
Reden wir lieber nicht vom Theater … die Proben sind sehr anstrengend …
Möchten Sie vielleicht tanzen, Mademoiselle?
Eine ausgezeichnete Idee, lieber Petitsantôs.
Sie gehen zur Tanzfläche und fangen an zu tanzen. Das Orchester hat die Polka beendet und setzt zu einem Tango an. Mademoiselle Lantelme zögert.
Ich glaube, diesen Rhythmus kann ich nicht tanzen.
Sie brauchen sich nur führen zu lassen.
Da der Tango noch nicht lange in Mode ist, haben sich nur wenige Paare auf die Tanzfläche gewagt. Alberto tanzt mit außerordentlicher Gewandtheit, sodass alle anderen Paare neben ihnen verblassen.
Sie sind wahnsinnig, Senhor!
Senhor? Wollen Sie sich jetzt rächen?
Mich rächen?
Für mein beleidigendes Verhalten am Eingang … Jetzt sprechen Sie mich mit Senhor an!
Wie soll ich Sie denn ansprechen?
Mit Alberto.
Einverstanden, aber nur, wenn es gegenseitig gilt.
Ich weiß nur, dass Sie Lantelme heißen.
Ganz speziellen Freunden erlaube ich, mich Nana zu nennen.
So wie die bei Zola?
Ich hoffe, dass ich nicht das gleiche Schicksal habe.
Nana, Sie sind wunderschön.
Und sie gleiten im synkopischen Rhythmus des Tangos über die Tanzfläche, während die Anwesenden neidische Blicke auf sie werfen. Doch der Tanz währt nicht lange. Ein Mann hat den Raum betreten und bleibt unauffällig im Halbdunkel am Eingang stehen. Ohne das Ende des Musikstückes abzuwarten, lässt Mademoiselle Lantelme Alberto im Raum stehen und eilt zu ihrem Tisch. Alberto folgt ihr verwirrt. Ich muss gehen, flüstert sie, ergreift ihre Sachen und begibt sich eilig zu dem Mann, der sich die ganze Zeit im Halbdunkel verborgen gehalten hat. Alberto kann nur die Frage unterdrücken, die sich ihm auf die Lippen drängt.
Vermutlich ist er sehr anspruchsvoll, bemerkt Sem amüsiert.
Aber sie hat sich wie eine Sklavin aufgeführt, protestiert Alberto.
Sie ist die Sklavin dieses Mannes, erklärt der junge Mann, der sie begleitet hat.
Petitsantôs wird ernst und lässt wieder seine schlechte Laune aufkommen.
Unbedarfte Rätsel Im Hangar in Neuilly arbeitet Alberto zusammen mit Voisin. Sie stehen über Konstruktionszeichnungen auf Pergamentpapier gebeugt und nehmen gar nicht wahr, was die anderen Mechaniker tun.
Ich weiß, dass Sie es sehr hässlich finden, Voisin.
Ja, es ist wirklich hässlich …
Aber es wird fliegen.
Sie dürfen nicht vergessen, dass es sich nicht um einen Ballon handelt.
Ich weiß, das brauchen Sie mir nicht alle Augenblicke zu sagen.
Ein Schwerer-als-Luft hat aerodynamische Schwierigkeiten …
Ich weiß … ich weiß …
Ich weiß nicht, ob Sie das wirklich wissen.
Was wollen Sie damit sagen?
Das hier, zum Beispiel … die Symmetrie der Flügel … Ich habe das mal durchgerechnet, und nach dem, was ich daraus schließen kann, ist der Winkel, den Sie hier vorgesehen haben, zu spitz … Das kann das Gleichgewicht stören …
Meine Berechnungen besagen etwas anderes …
Darf ich die mal sehen?
Alberto reicht ihm einen Block voller Kalkulationen, Voisin prüft sie mit einem Bleistift und unterstreicht ein paar Berechnungen.
Sein Sie nicht böse, Petitsantôs, aber hier sind ein paar Fehler.
Alberto schleudert einen Bleistift, den er in der Hand hatte, auf die Zeichnungen und verlässt den Hangar. Voisin kratzt sich am Kopf und schaut zu den anderen Mechanikern hinüber, merkt aber, dass von Albertos alten Mitarbeitern kein Mitgefühl für seine Enttäuschung kommen wird. Im Gegenteil, die alten Mechaniker töten ihn fast mit ihren missbilligenden Blicken.
Als er merkt, dass die Stimmung im Hangar gegen ihn steht, zieht Voisin sein Jackett an, dann den Mantel, wickelt sich den Schal um den Hals und geht hinaus. Vielleicht bekommt ihm die spätwinterliche Kälte besser als das bedrückende Klima im Hangar.
Beim Hinauskommen sieht Voisin sehr wohl Alberto, der halb geistesabwesend in seinem elektrischen Auto sitzt. Die leuchtend grüne Rasenfläche, zu der das Grundstück im Sommer geworden war, ist jetzt eine traurige Mischung aus Schneeresten, Matsch und trockenen Bäumen unter bleigrauem Himmel. Hungrige Krähen fliegen im Schwarm am Horizont, die Nachbarhäuser sind dunkel, ihre Steinwände von Feuchtigkeit und grünlichem Schimmel befleckt. Die Luft indes ist klar, sie dringt eisig
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