Der Fliegenfaenger
Frisur von ihrem Sitz aufstand und »Lady in Red« anstimmte und alle einfielen und auch noch die Arme überm Kopf schwenkten! Ich saß zusammengekauert am Fenster, machte mich ganz klein und versuchte, mich von dem trostlosen Treiben zu distanzieren. Aber plötzlich drehte sich eine andere Frau, die direkt vor mir saß, um und sagte: »Komm schon, mach mit. Es ist ganz leicht und macht Spaß!«
Ich wollte ihr gerade sagen, dass mir das etwa genauso viel Spaß machen würde wie ein vereiterter Backenzahn! Doch im letzten Moment fiel mir ein, dass sie mich schließlich mitgenommen hatten; also zuckte ich die Achseln und schwieg. Ich hatte aber nicht bemerkt, dass die großbusige hochtoupierte Frau jetzt singend durch den Gang schlenderte. Plötzlich packte sie meine Hand und zog mich vom Sitz. Und eh ich mich versah, hatte sie schon ihre Arme um mich geschlungen und ich befand mich in der unsäglich grauenhaften Lage, dass mich eine Frau mit hochtoupiertem Haar umklammerte, Busen und Schenkel an mich presste und mir ins Ohr sang, während wir uns zu dieser Ekel erregend sentimentalen Ballade von Chris de Burgh im Stehblues durch den Gang schoben! Und es kam noch schlimmer, denn jetzt hörte sie auf zu singen und flüsterte mir etwas ins Ohr. Erst glaubte ich, ich hätte mich verhört. Sie sagte, sie spüre ganz deutlich, dass ich »spitz wie Nachbars Lumpi« sei. Ich hustete nur! Doch sie lächelte und presste sich noch enger an mich. Ich wollte zurückweichen, aber da drückte sie mich gegen einen Sitz. Hilfesuchend sah ich mich um. Aber niemand nahm Notiz, weil sie immer noch alle »Lady in Red« sülzten und dabei wie in Trance die Arme schwenkten. Und schon flüsterte mir die Frau wieder mit rauer Stimme ins Ohr: »Ich wette, du kannst es kaum erwarten, bis du auf meinen Startknopf drücken darfst, stimmt’s?«
Ich starrte sie entsetzt an, weil ich mir gar nicht erst ausmalen wollte, was sie damit meinte. Doch sicherheitshalber erwiderte ich: »Tut mir Leid, ich kenn mich mit Computern nicht aus!«
Ich hörte ihr dunkles, heiseres Lachen an meinem Ohr. Und dann bewegte sie ihre Zunge zwischen den Lippen hin und her, während sie mir direkt in die Augen starrte. Kurz darauf flüsterte sie mir wieder ins Ohr: »Hast du schon mal mit einer Frau geschlafen … während im Hintergrund … Chris de Burgh lief?«
Und das war so entsetzlich ekelhaft, dass ich mich fast übergeben musste! »Ich würde mir nicht mal einen Toast machen, während im Hintergrund Chris de Burgh läuft!«, erwiderte ich.
Aber das hörte sie wahrscheinlich gar nicht mehr, denn jetzt erhob sich vorn im Bus ein Mann und rief: »Tina!«
Sie ließ mich sofort los. Und ich kletterte wieder auf meinen Sitz und versuchte mit dieser traumatischen Erfahrung fertig zu werden. Noch ein paar Sekunden, dann hätte sie wahrscheinlich an mir rumgefummelt! Ich saß also wieder zusammengekauert am Fenster und hoffte inständig, weiteren Begegnungen der peinlichen Art zu entgehen. Aber kaum hatte ich mich etwas erholt, bemerkte ich plötzlich, dass sich meine Vorderfrau auf ihren Sitz gekniet hatte und mich lächelnd anstarrte.
Als ich ihr vorsichtig zunickte, sagte sie: »Ich kann mich natürlich täuschen; aber ich hab so das Gefühl, dass Sie … nicht aus Grimsby sind, stimmt’s?«
Als ich den Kopf schüttelte, bekam sie vor Aufregung ganz glänzende Augen. »Oooh«, sagte sie, »das ist doch nicht etwa Ihr erstes Mal? Oooh! Waren Sie etwa noch nie im Kabeljaukorb des Ostens?«
Ich sah sie stirnrunzelnd an und fragte mich, ob das schon wieder eine Begegnung der peinlichen Art war.
Sie stupste ihren Mann an und sagte: »Walter! Walter! Der junge Mann hinter uns – ein Frischling! Er war noch nie in seinem Leben in Groß-Grimsby!«
Ich dachte, dieser erschütternd belanglose Umstand werde Walter wohl kaum überwältigen. Aber schon kniete er neben seiner Gattin, streckte mir die Hand hin und sagte: »Schlagen Sie ein, junger Freund! Schlagen Sie ein!«
Dieses kumpelhafte Getue war schon peinlich genug; aber jetzt hielt er auch noch eine Ewigkeit meine Hand fest, zerquetschte mir beinahe die Finger und schüttelte meinen Arm so heftig, dass ich fast auf und nieder hopste.
»Walter Walmsley!«, sagte er mit strahlend geblecktem Gebiss. Dann blähte er sich auf und sagte: »Auch bekannt als der König des Kabeljaus!«
Wahrscheinlich hätte ich jetzt irgendwas sagen sollen, aber leider hatte mir der Anblick dieser zwei, die mich entzückt anstarrten
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