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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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diese zwei bringen hier alles durcheinander!«
    »Sie bleiben da!«, erwiderte ich und zog Twinky und Norman noch enger an mich. »Die gehen nirgendwo hin! Das sind meine Freunde, die sind zu mir zurückgekommen!»
    Ich starrte ihn trotzig an, und jetzt drang ihm sein Mutantentum aus allen Poren, als er mit dünn zusammengepressten Lippen stocksauer dastand, zurückstarrte und dann achselzuckend seine Taktik änderte und zu meiner Mam rüberrief: »Shelagh, ich fürchte, ich muss Raymond in die Klinik zurückbringen!«
    Ich sah, wie meine Mam langsam den Kopf hob, als erwache sie aus einer Art Trance. Dann schaute sie mich verwirrt an, als sehe sie mich zum ersten Mal.
    »Er stört die Feier, Shelagh«, erklärte Tante Fay plötzlich. »Er macht uns die ganze Feier kaputt.«
    »Wahrscheinlich war es einfach zu viel für ihn«, sagte Wilson. »Es wird für uns alle das Beste sein, wenn wir ihn wieder zurückbringen.« Er packte mich am Arm und wollte mich von meinen Freunden wegziehen. »Na los, Raymond!«, sagte er. »Los, wir fahren jetzt in die Klinik zurück!«
    Da hörte ich meine Mam plötzlich klar und deutlich sagen: »Nein! Nein, nein, nein!«
    Und dann stand sie neben mir, zog Wilsons Arm von mir weg und befahl: »Lass ihn in Ruhe! Lass Raymond in Ruhe!«
    Wilson starrte sie mit offenem Mund an. »Shelagh«, sagte er, »hör auf meinen Rat und überlass das mir!«
    Doch meine Mam schüttelte den Kopf. Und jetzt sah ich ihren Blick; ich sah das Feuer, den stählernen Eigensinn, den ich früher immer im Blick meiner Oma gesehen hatte. Und eine Sekunde war es fast so, als hätte sich meine Mam in meine Oma verwandelt! Alle starrten sie an.
    »Du lässt jetzt sofort meinen Sohn in Ruhe«, sagte sie zu Wilson. » Und seine Freunde. Du lässt jetzt sofort diese Jungs in Ruhe.«
    Er sah meine Mam böse an. Und dann erwiderte er mit halb erhobenem Finger: »Schau, Shelagh, ich verstehe ja, dass du eine sehr anstrengende Zeit hinter dir hast, aber mein Ratschlag wäre …«
    »Ich sagte: Lass sie in Ruhe! «, beharrte meine Mam. »Ich habe die beiden gebeten , heute hierher zu kommen. Ich habe nach London geschrieben und sie eingeladen. Und deshalb lässt du sie gefälligst in Ruhe. Und mich auch!«
    Wilson stand da und sah meine Mam stirnrunzelnd an. Und im Hintergrund meckerte mein Onkel Jason, er werde es auf keinen Fall zulassen, dass seine Mutter in der Gegenwart von zwei Schwuchteln beerdigt werde!
    »Shelagh, was redest du denn da?«
    Und da nahm sie meine Hand. Und mit der andern nahm sie Normans Hand. Bis wir vier, meine Mam, ich, Norman und Twinky Hand in Hand am Grab standen. Und ich glaube, in diesem Moment liebte ich meine Mam mehr als je in meinem ganzen Leben; in diesem Moment, als sie mich und meine Freunde an der Hand hielt.
    Und dem Mutanten den Rücken zukehrte.
    Und ich merkte gar nicht, dass ich die Worte laut aussprach, ich dachte, sie seien nur in meinem Kopf, in meinem frohen, frohen Kopf: »Meine Mam ist frei, sie ist frei, sie ist frei, sie ist den Mutanten endlich entkommen. Entkommen, entkommen, frei, frei, frei. Mam Mam Mam, meine Mam ist frei, Mam ist frei.«
    Aber Mutanten geben nicht so schnell auf.
    Denn jetzt ging Wilson zu meinem Drecksonkel Jason rüber. Und dann kamen beide auf uns zu, begleitet von einem der Männer, die vorhin den Sarg getragen hatten.
    Und Wilson sagte zu meiner Mam: »Es tut mir Leid, Shelagh, aber ich fürchte, der Kummer beeinträchtigt deine Urteilskraft. Ich muss leider darauf bestehen, Shelagh; du magst seine Mutter sein, aber am heutigen Tag hat man mir die Verantwortung für Raymonds Wohlergehen übertragen. Und das heißt, dass ich, solange ich in loco parensis agiere, darauf bestehen muss, Raymond zu seinem eigenen Besten wieder in die Klinik zurückzubringen.«
    Meine Mam umklammerte meine Hand fester, starrte Wilson an und schüttelte den Kopf.
    Und ich sagte: »Gut gut gut gut, Mam, ich will nicht, will nicht gehen, nein! Ich bin bei meinen Freunden, meinen Freunden, ich habe meine Freunde lieb, bin bei der Liebe …«
    Da sagte mein Drecksonkel: »Das ist ja zum Kotzen!«, und drängte sich mit dem Sargträger an Wilson vorbei. Und ich wusste, sie wollten mich packen und von meiner Mam wegreißen und dann musste ich mit dem Mutanten nach Swintonfield zurück, im Auto eingeschlossen mit dem Mutanten, und dann wurde ich auf der Station eingesperrt und meine Freunde würden nicht mehr da sein, Twinky und Norman würden nicht mehr da sein und dann

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