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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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den Sarg, den Sarg im Altarraum. Es war gut so, es war gut so. Starrte hin, starrte hin; es beruhigte mich, beruhigte mich, dass meine Oma, meine tote Oma, meine Oma tot war, sie war nicht da, gut so, gut so; weil sie es nicht mit anhören musste, war es egal, was sie sagten; war egal, war jetzt egal, ganz egal.
    Es war gut so. Jetzt war die Stimme des Pfarrers nur noch ein Geleier. Ein fernes Geleier. Und es tat gut, nur auf den Sarg zu starren; das mutantenhafte Geleier des Pfarrers war nur noch irgendein Geräusch im Hintergrund.
    Ich starrte auf den glänzenden Sarg, und das Sonnenlicht, das durch das Glasfenster in den Altarraum fiel, malte Streifen auf den Sargdeckel. Es war gut so. Es war g-
    Und da sah ich sie!
    Auf dem Sarg. Direkt vor den Blumen. Oben auf dem Sarg. Eine Schachtel.
    Eine Schachtel Garibaldikekse!
    Mein Herz hüpfte vor Freude.
    Aber dann fiel mir ein, dass ich ja meine Tabletten nicht genommen hatte. Deshalb waren die Garibaldikekse wahrscheinlich gar nicht da und ich bildete sie mir nur ein. Jetzt wusste ich ganz genau, dass die chemischen Stoffe in meinem Hirn außer Kontrolle geraten waren. Denn so was tat doch niemand; man legte Blumen auf einen Sarg, aber doch keine Schachteln mit Garibaldikeksen! Aber ich sah sie immer noch. Während des ganzen Gottesdienstes sah ich sie auf dem Sarg liegen. Und selbst als der Sarg an mir vorbeigetragen wurde, sah ich immer noch die Schachtel auf dem Deckel liegen.
    Und als alle die Kirche verließen und sich draußen ums Grab versammelten und der Sarg dastand, um gleich hinabgelassen zu werden, sah ich die Keksschachtel immer noch. Und obwohl ich wusste, dass es nur die aus dem Gleichgewicht geratenen chemischen Stoffe in meinem Gehirn waren, trat ich einen Schritt vor, um mir die Schachtel genauer anzusehen. Da packte mich Wilson am Arm. »Hier geblieben, Raymond«, sagte er. »Bleib einfach bei mir, dann ist alles in Ordnung.«
    Der spielte sich ja auf wie ein Gefängniswärter! Und ich blieb eigentlich nur stehen, weil ich mir nicht traute, so lange ich mir alles Mögliche einbildete. Ich wollte nicht wieder mit irgendwas rausplatzen und riskieren, dass sich meine Mam wieder aufregen musste. Sie war schon traurig genug, das sah ich ihr an. Sie stand auf der anderen Seite, aber ein paar Schritte vom Grab entfernt, als könne sie den Anblick nicht ertragen. Sie stand dort ganz allein und starrte vor sich hin, starrte einfach vor sich hin. Ich sah, dass mein Onkel und meine Tante sie zu sich rüberwinkten. Aber meine Mam schüttelte nur den Kopf und schaute sie nicht mal an; man merkte, dass meine Mam für sich sein wollte. Sie wollte keinen Menschen bei sich haben, keinen. Als sei sie ganz abgekapselt, allein mit ihrer Trauer. Ich konnte meine Mam kaum ansehen, so viel Trauer lastete auf ihr. Und deshalb schaute ich weg, weit weg zur Mauer hinter der Kirche.
    Und da sah ich sie!
    Es war wie in einem Traum; sie bewegten sich ganz langsam, als schwebten sie zwischen den Grabsteinen hin und her, dicht über der Erde, die beiden Gestalten, die ganz genau wie Twinky und Norman aussahen.
    Ich schloss schnell die Augen! Ich kniff sie zu, so fest ich konnte, damit es wegging, dieses schreckliche, schmerzhafte Bild meiner zwei besten Freunde, die auf mich zuschwebten, als seien sie wirklich da. Ich vermisste meine Freunde. Ich vermisste sie so sehr! Aber wenn die Medikamente wirkten, wenn alles ganz weit weg blieb, dann war es gut, dann dachte ich nicht so viel über sie nach, und falls ich es doch tat, dann war es, als seien Twinky und Norman und Sunny Pines eine weit zurückliegende Erinnerung. Aber jetzt, wo die Wirkung der Medikamente nachließ, jetzt, wo ich halluzinierte und mir einbildete, ich sähe sie vor mir, jetzt hätte ich am liebsten geweint über den Verlust meiner Freunde, die ich geliebt hatte.
    Und deshalb stand ich so am Grab meiner Oma: mit fest zusammengekniffenen Augen, aus denen Tränen sickerten. Und ich öffnete die Augen nur deshalb, weil Wilson plötzlich sagte: »Was zum … Was zum Teufel …!«
    Ich sah ihn zum Sarg eilen, der auf der andern Grabseite stand. Und dann sah ich, wie er sich bückte und schnell die Keksschachtel vom Sarg entfernte!
    Ich starrte ihm nach, als er mit der Keksschachtel zum Abfalleimer an der Ecke der Kirche eilte.
    Sie waren echt!
    Die Garibaldi-Kekse existierten nicht nur in meiner Einbildung, sie waren echt! Wilson klappte den Abfalleimer auf und warf die anstößigen Kekse rein. Und gegenüber

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