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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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meiner Mam, zappelte, strampelte und schrie, bis sie MICH AUFHOBEN, in den Lift trugen und mich dort festhielten; und da endlich gelang es mir, mich mühsam umzudrehen, kurz bevor die Türen zugingen; und ich sah Twinky, Norman und meine Mam; sie standen immer noch bei der Aufnahme; meine Mam hatte erschrocken die Hand auf den Mund gelegt, Norman hatte sich mit gesenktem Kopf abgewandt. Nur Twinky sah zu mir her, die Hand halb zum Winken erhoben, und dann gingen die Lifttüren zu und mir war, als seien alle für immer verschwunden.

    Ich leugne nicht, dass ich krank war, Morrissey. Ich weiß, dass ich krank war. Das würde ich auch nie abstreiten. Als mich meine Mam am Tag nach der Beerdigung besuchte, war sie über meinen Zustand so schockiert, dass sie mich gleich mit nach Hause nehmen wollte. Das sinnlose Geplapper und Gequassel hatte zwar aufgehört, aber es schien, als hätte auch alles andere aufgehört. Als hätte mein Gehirn alle Funktionen eingestellt, sagte meine Mam. Ich hätte dagelegen wie ein schwabbeliger Klumpen.
    Sie sagte den Pflegern, dass sie mich mit nach Hause nehmen werde. Sie versuchte sogar, mich aus dem Bett zu holen und anzuziehen. Brendan wollte sie dran hindern und erklärte, das komme nur von den Medikamenten, die man mir gegen den manischen Zustand verabreicht hätte. Aber meine Mam weinte und wollte mich immer noch anziehen und mit nach Hause nehmen. Da holte man den Chefarzt, Dr. Corkerdale, und der erklärte meiner Mam, dass ich wie ein ausgewrungener Putzlappen daläge, sei nur das Resultat von Depression und Therapie. Er sagte, das sei völlig normal. Es sei viel besser, dass ich jetzt ruhig sei, statt in einem fort manisch vor mich hinzuplappern, denn in diesem Zustand stellte ich die größte Gefahr für mich selbst dar. Weil ich dann nämlich größenwahnsinnig und voll hochfahrender Pläne sei.
    »In solchen Phasen«, sagte er zu meiner Mam, »kann bei dem Patienten die Illusion entstehen, dass er unverwundbar sei. Und das wollen wir doch nicht, Mutti, oder? Sie wollen doch nicht, dass er von einer Brücke, aus einem Hochhaus oder vor einen Zug springt. Oder wieder in einen Kanal?«
    Und als meine Mam angstvoll den Kopf schüttelte, stellte ihr der Chefarzt lächelnd in Aussicht, dass ich bei ihrem nächsten Besuch wahrscheinlich schon viel munterer sei. Und sobald er davon ausgehen könne, dass die manische Phase vorbei sei, werde er auch das Lithium reduzieren und dann wäre ich wieder so wie früher.
    Aber das stimmte nicht, Morrissey, jedenfalls nicht, solange ich in Swintonfield war; ich wurde nicht mehr wie früher.
    Anfangs versuchte ich ihnen immer wieder zu erklären, dass das Ganze nur ein Irrtum sei und ich nie einen Selbstmordversuch begangen hätte. Aber da lächelte Dr. Corkerdale nur, fuhr mir mit der Hand durchs Haar und sagte zu seinen Studenten: »Sehen Sie, das ist ein typisches Beispiel für Bipolarität. Dieser Junge hat schon mindestens zwei Suizidversuche hinter sich und leugnet sie immer noch ab; vermutlich, weil manche bipolaren Persönlichkeiten eine Tendenz zu schizoaffektiven Störungen aufweisen. In seinem jetzigen – kontrollierten – Zustand werden Ereignisse, die mit der vorausgegangenen manischen Phase in Verbindung stehen, einfach geleugnet oder gar nicht erst wahrgenommen.«
    Die Studenten nickten eifrig und machten sich Notizen, während der Chefarzt lächelnd an seinem Manschettenknopf rumnestelte.
    Ich versuchte es noch eine Zeit lang; ich beteuerte immer wieder, ich hätte mich bestimmt nicht umbringen wollen; und die Person, über die sie dauernd redeten, sei gar nicht ich.
    Aber Corkerdale fuhr mir nur jedes Mal mit der Hand durchs Haar und erklärte seinen Studenten, bei schizoaffektiven Störungen gebe es oft auch Symptome einer multiplen Persönlichkeit.
    Und dann sagte er noch, ich sei ein guter Junge, und rauschte, seine Studenten im Schlepptau, davon.
    Und ich glaube, damals fing es wieder an, dass ich mir alle möglichen Sachen einbildete! Als ich Corkerdale nachsah, dem seine Studenten mit ihren weißen Mänteln und umgehängten Stethoskopen im Gänsemarsch folgten, wurde aus diesem Ensemble plötzlich ein langes, aufgedunsenes Wesen, das sich wie eine fette, blasse Raupe durch den Krankensaal wand und durch die Tür verschwand.
    Danach sah ich dann alles Mögliche; zum Beispiel Rübenkraut, das aus den Wänden wuchs, und den Mann, dem der Kopf verkehrt rum saß. Seine Kleider waren ihm zu klein. Und er wollte mir wehtun.

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