Der Fliegenfaenger
und Gegurgle und seine Fingerzeichen rasch zu verstehen. So unterhielten wir uns. Er fragte mich, wie ich nach Swintonfield gekommen war, und ich erzählte John dem Gärtner alles, woran ich mich noch erinnern konnte; dass Twinky und Norman nach London abgehauen waren und dass meine Mam fast den Mutanten geheiratet hätte; ich erzählte ihm von meiner Oma und dass sie an einem Schlaganfall gestorben war. Und ich erzählte ihm vom Falschen Jungen. Nicht alles, nicht das mit dem Fliegenfangen und so, aber ich erzählte ihm einfach, wie ich zum Falschen Jungen geworden war. Und dass ich meiner Mam immer nur wehgetan hatte.
Wenn ich ihm solche Dinge erzählte, betrachtete mich John der Gärtner mit seinen tieftraurigen Augen. Und manchmal schien er richtig zornig zu werden; dann starrte er mich stirnrunzelnd an, schüttelte den Kopf und stieß ein Knurren aus, das ich nicht richtig verstand. Denn ich hatte ja keine Ahnung!
Ich hatte ja keine Ahnung, dass er mein Dad war.
Er knurrte, weil es ihn wütend machte, was seinem Sohn alles zugestoßen war.
Warum hat er es mir nicht gesagt, Morrissey? Erwachsene Menschen sollten doch nicht so dumm sein. Warum hat er es mir nicht gesagt? Hat er geglaubt, ich würde ihn nicht mögen? Weil er nicht sprechen konnte? Weil er ein Gärtner war? Und viele Jahre zuvor hatte er es nicht mal geschafft, mir und meiner Mam einen Rasen auszulegen. Ich weiß nicht, warum er es mir nicht gesagt hat, Morrissey, aber jedenfalls tat er es nicht. Erst als er mir seine Gitarre schenkte, da hat er es mir in gewisser Weise gesagt. Eines Tages verschwand er in seiner Hütte. Und dann kam er mit dieser altmodischen, zerschrammten Gitarre wieder raus. Er hielt sie mir hin. Aber ich sagte skeptisch, ich könne doch gar nicht Gitarre spielen. Das schien er nicht zu verstehen. Er nickte und hielt mir das Instrument immer noch beharrlich hin, bis ich es schließlich entgegennahm. Und er stand da, sah mich an und ermunterte mich nickend, doch mal einen Versuch zu machen. Aber es klappte nicht. Jedenfalls nicht richtig. Ich hab nur so ein bisschen drauf rumgeklimpert. Das Einzige, was mir noch aus der Blockflötenstunde in der Schule einfiel, war eine einstimmige Melodie. Es sollte »Hänschen klein« sein, klang aber ganz holprig und nicht im Takt und war als Lied kaum zu erkennen.
Und trotzdem schien John der Gärtner hoch beglückt. Er klatschte in die Hände, hüpfte vor Freude auf und ab und rief aufgeregt: »Jaaaaa! Jaaagaaaaa! Waaabaaaaar!«, was bei ihm so viel hieß wie: »Ja! Ja, genau! Wunderbar!«
Mir war schleierhaft, wie jemand bei einer so langweiligen, mühsam gezupften Melodie dermaßen aus dem Häuschen geraten konnte. Das hätte doch jeder spielen können. Aber wenn man John den Gärtner hörte, hätte man meinen können, ich hätte gerade ein komplettes Gitarrenkonzert hingelegt. Aber so sind Väter, nicht wahr? So sind sie, wenn es um ihre eigenen Kinder geht. Wenn mein Dad damals nicht weggegangen wär und mir stattdessen als Kind beim Legobauen zugeschaut hätte, hätte er vermutlich vor den Nachbarn geprahlt, ich würde bestimmt mal ein Stararchitekt. Oder wenn er mir beim Kicken zugeschaut hätte, hätte er vielleicht behauptet, ich würde sicher mal ein berühmter Fußballer. Er hätte wahrscheinlich alles Mögliche gesagt und getan; wenn er damals nicht weggegangen wär.
Und ich wär wahrscheinlich nie in Swintonfield gelandet.
Morrissey, das mit dem Hähnchen tut mir Leid. Ich hab es nur aus Hunger und Selbstmitleid gegessen. Aber jetzt schäme ich mich, Morrissey. Weil ich das, was ich über meinen Dad erfahren hab, und das, was ich dabei empfand, als Rechtfertigung missbraucht hab, mich danebenzubenehmen. Dabei mag ich Hähnchen nicht mal!
Jetzt weiß ich, dass es keinen Sinn hat, rumzusitzen und in Selbstmitleid zu versinken. Und in Mitleid für meinen Vater.
Es hat mich traurig gemacht. Aber auch wütend. Alles, was sich mein Vater je wünschte, hat er die ganze Zeit in Gestalt seiner Stimme besessen! Das Musikinstrument, das er so gern spielen wollte, hat er die ganze Zeit gehabt, in Gestalt seiner Stimme, seiner Stimmbänder. Und er hat alles zerstört, alles kaputt gemacht. Das einzige Instrument, das er je beherrscht hat; seine einzige Möglichkeit, die Melodien auszudrücken, die er im Herzen trug – er hat es einfach weggeworfen, und wofür? Für seine hoffnungslose Liebe zu einer Schlampe aus Silkstone Common, die ihn zum Narren gemacht hat.
Und seit ich hier
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