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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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mir gewechselt, seit er vor vielen Jahren an mir vorbeigeradelt war und mich fette Sau genannt hatte.
    »Ich bin jetzt ja an der Uni«, begann er, »und da bin ich nicht mehr so auf dem Laufenden über das, was hier passiert. Aber ich … hab gehört … ich hab gehört, dass es dir nicht besonders gut gegangen ist.«
    Ich sah seine Freundin vor Smith’s stehen und ins Schaufenster gucken. Sie war wirklich hübsch. Bestimmt hatte er sie an der Universität kennen gelernt.
    »Also«, fuhr er fort, »es geht um Folgendes.« Und dann räusperte er sich und sah ziemlich verlegen aus. »Ich wollte nur … ich meine …« Mit einem kurzen Blick überprüfte er, ob seine Freundin noch außer Hörweite war. Dann senkte er die Stimme und fuhr fort: »Du weißt doch … äh … vor vielen Jahren! Damals, als wir noch in der … du erinnerst dich doch an die Sache damals … am Kanal … mit Albert Goldberg und den andern?«
    Jetzt sah ich ihn zum ersten Mal richtig an. Und plötzlich freute ich mich! Auch wenn es erst nach so langer Zeit geschah und eigentlich keinen Unterschied mehr machte, freute ich mich, dass Geoffrey Weatherby es endlich zugab und sich bei mir entschuldigen wollte. Früher war er ja mal mein allerbester Freund gewesen. Und ich hatte es immer bedauert, dass er zu dem Dreckskerl geworden war, der unser Geheimdokument zerrissen und nie mehr mit mir gesprochen hatte. Deshalb freute ich mich jetzt.
    »Also, die Sache ist die«, sagte er, »damals, als wir noch klein waren, wollte ich dir immer sagen … na ja … ich wollte dir sagen … dass die andern sich wirklich schweinisch benommen haben, Goldberg, Duckworth und Kev Cowley … das war richtig beschissen, dass die damals alles auf dich geschoben haben und du das ganz allein ausbaden musstest!«
    Er nickte wieder und streckte sogar die Hand aus, als wolle er meinen Arm berühren. Aber dann ließ er es sein und schloss: »Ich wollte nur, dass du das weißt. Die Typen waren wirklich fies zu dir.«
    Ich starrte ihn nur an!
    Der faulig süßliche Gestank seiner gönnerhaften Phrasen brachte mich fast zum Kotzen. Plötzlich wusste ich, warum in den Augen der Obdachlosen und Bettler immer auch Hass liegt, wenn sie lächelnd ein Almosen entgegennehmen.
    Ich blickte ihm nach, als er zu seiner Freundin zurückging, und dann schlenderten beide weiter. Sie sah sich über die Schulter nach mir um und lachte über irgendeine Bemerkung von ihm.
    Aber es machte mir nichts aus! Die ließen mich alle ganz kalt. Denn ich hatte etwas, das keiner von ihnen jemals haben würde. Deshalb konnte ich sie einfach ignorieren.
    Ich setzte meinen Weg zum Musikladen fort, um mir einen neuen Satz Saiten zu kaufen.
    Sie waren mir egal. Irgendwie taten sie mir sogar fast Leid. Ich hätte es grässlich gefunden, so zu sein wie sie – Auto, Karriere, samstagabends mit der Clique durch die Klubs ziehen; und ihre scheiß CDs und Studentenausweise; ich hasste das alles. Deshalb pfiff ich auf sie und wollte nichts von dem, was sie besaßen.
    Bis auf eine Freundin!
    Sie sah wirklich nett aus, die Freundin von George Weatherby.
    Aber selbst das ließ mich kalt.
    Denn ich hatte etwas, das fast so gut war wie eine Freundin. Ich hatte etwas, das keiner von ihnen je haben würde; ich hatte dich, Morrissey. Und deshalb fand ich es so schön, allein in meinem Zimmer in Failsworth zu sein, morgens aufzuwachen und überall dich an der Wand zu sehen. Bevor ich aufstand, lag ich noch eine Weile im Bett und betrachtete jedes einzelne Poster, Foto, jede Plattenhülle von dir und den Smiths und das war so ein gutes, warmes Gefühl und erinnerte mich jedes Mal dran, wie sehr ich ein Teil von etwas war. Und deshalb fand ich es so schön.
    Und jetzt?

    Jetzt bin ich hier, Morrissey, hocke wie ein Flüchtling zusammengekauert in einem hölzernen Unterstand und schaue aufs Meer. Hier!
    Ich bin HIER, Morrissey! Zwei Meilen von Grimsby entfernt.
    Und eine Million Meilen von daheim.
    Mein Onkel hat immer gesagt: »Du tust doch eigentlich überhaupt nichts; hockst bloß den ganzen Tag in deinem Zimmer, hörst deine Schallplatten oder klimperst auf deiner blöden Gitarre rum. Also würdest du doch gar nichts aufgeben, oder? Du gehst nie aus. Du machst überhaupt nichts, also, was hast du denn zu verlieren? Du führst hier in Failsworth doch ein total nichtsnutziges Leben, oder?«
    Ich hab’s ihm nie erklärt, Morrissey; er hätte es ja sowieso nicht verstanden, mein unglückseliger Onkel; wie hätte er auch

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