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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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die Schwester meine Mam zu einem Stuhl führte und tröstend sagte, ich sei noch verwirrt und nicht ganz bei mir, das sei ganz normal nach allem, was ich durchgemacht hätte, und außerdem hätte man mir mit einem Schlauch das faulige Wasser aus dem Magen pumpen müssen. Aber morgen früh gehe es mir bestimmt schon viel besser und jetzt würde ich was zum Einschlafen kriegen und dann sei ich morgen sicher nicht mehr so verwirrt.
    Ich war aber gar nicht verwirrt. Ich wusste genau Bescheid. Ich wusste, dass ich immer noch dick war und keine Freunde hatte. Ich wusste, dass es nicht geklappt hatte. Ich wusste, dass ich immer noch der Falsche Junge war!

    Morrissey, ich kann jetzt nicht weiterschreiben, weil gerade der Bus gekommen ist. Aber das musst du unbedingt noch wissen, Morrissey: Als ich an jenem Abend zum Kanal zurückging, habe ich wirklich nur nach ihm gesucht, das war alles. Ich habe nur nach dem Jungen gesucht, der im Kanal verschwunden und nicht mehr aufgetaucht ist! Die wollten etwas anderes draus machen. Aber das stimmt nicht, Morrissey. Ich weiß, wahrscheinlich klingt es verrückt, dass jemand in den Kanal springt, weil er glaubt, er sei der Falsche Junge. Aber damals, in jenem Jahr, als ich mich irgendwo verloren hatte und nicht mehr wieder fand, kam es mir überhaupt nicht verrückt vor. Es schien sogar absolut logisch. Und das, was die meinten, habe ich nie getan. Ich habe nie versucht, mich umzubringen. Ganz im Gegenteil. Ich wollte mich wieder finden, ich wollte den Jungen befreien, der dort unten festsaß und mehr als vier Wochen warten musste, bis endlich der Falsche Junge zurückkehrte und er selber freikam.
    Aber sie haben mir nicht geglaubt!
    Die haben gesagt, ich hätte Angst gekriegt wegen dem, was ich Paulette angetan hätte. Die haben gesagt, ich hätte mit dieser Schuld nicht weiterleben können und deshalb hätte ich mich umbringen wollen. Aber ich wusste ja nicht mal, wer sie war! Sie war nur irgendein kleines Mädchen, das ist alles, ein kleines Mädchen, das vor mir hergerannt war und das ich nur flüchtig wahrgenommen hatte. Ich wusste doch nicht, dass sie von daheim weggelaufen war und jetzt ängstlich an all die Warnungen und Geschichten dachte, dass in dieser verrufenen Gegend ein Wesen lauerte, so schlimm wie der böse Wolf im Märchen, ein Wesen, das ihr als der böse Sittenstrolch im Kopf herumspukte. Und in seiner Panik und Angst hatte das kleine Mädchen ein Geräusch gehört; und als es den Kopf wandte und den Treidfelpfad hinunterschaute, sah es genau das, was es befürchtet hatte, ein Wesen auf dem Treidelpfad, das genau auf sie zustampfte, um sie zu holen, so wie man es ihr warnend zugeflüstert hatte: der schlimme Sittenstrolch.
    Aber ich hatte sie gar nicht recht bemerkt! Ich hatte nur daran gedacht, dass ich jetzt gleich versuchen würde, mich wieder in den Netten Jungen zurückzuverwandeln. Ich wusste doch nicht, dass sie um ihr Leben rannte! Ich hörte sie nicht wimmern, sah nicht das Entsetzen in ihrem Gesicht, die helle Panik in ihren Augen und die Tränen, die ihr über die Wangen strömten, während sie rannte, um den Klauen des schlimmen Sittenstrolchs zu entrinnen.
    Als ich die Stelle fand, nach der ich gesucht hatte, und mich ins dunkle Wasser des Kanals stürzen wollte, wusste ich nicht, dass nur ein paar hundert Meter weiter ein völlig verängstigtes kleines Mädchen durch einen winzigen Spalt in der mit Brettern vernagelten Tür des leerstehenden Lagerhauses kroch, auf der verzweifelten Flucht vor ihrem Verfolger. Und beim Sprung ins Wasser hörte ich nicht den Schrei des kleinen Mädchens, als ihr Fuß auf die Stelle trat, wo die Bodenbretter von Vandalen zerstört oder von Obdachlosen, die sich im Winter ein wenig aufwärmen wollten, verheizt worden waren.
    Ich ahnte ja nicht, als ich im trüben Wasser des Kanals versank, dass im selben Moment auch ein kleines Mädchen versank, in den dunklen Kellergewölben des alten Lagerhauses. Von alldem hatte ich nicht die geringste Ahnung. Ich erfuhr es erst später. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde und zum allerersten Mal den Namen »Paulette Patterson« hörte.
    Mit freundlichen Grüßen
Raymond Marks

Aus dem Songbook von
Raymond James Marks
    Paulette Patterson war noch ziemlich klein, grad acht Jahre zählte sie mal,
    Doch ihr Blick war traurig und viel zu alt und die Leute fanden’s normal,
    Dass die »kleine Paulette«, »das arme Kind«, ihren Brüdern und Schwestern nachschlug
    »Ein bisschen

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