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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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gesehen; denn als wir das Ende der Krankenhauseinfahrt erreichten, sah ich, dass meine Mam lächelte, als sei ihre Seele von heiterer Klarheit erfüllt. Und ich wusste, dass die Tränen, die ihr aus den Augen stürzten, nichts mit Trauer oder Sorge zu tun hatten, sondern dass nur etwas von dieser Klarheit und Heiterkeit hervorquoll. Als sie merkte, dass ich sie ansah, lachte sie. Und ich lachte auch. Und dann blieb sie stehen, zog ein Taschentuch heraus und sagte zu mir: »Wie geht’s dir?«
    »Gut«, antwortete ich.
    »Und du bist nicht mehr müde?«, fragte sie. »Oder noch zu erschöpft von all dem, was passiert ist?«
    Als ich den Kopf schüttelte, hakte sich meine Mam wieder bei mir ein. »Schön«, sagte sie ganz aufgeregt, »dann komm! Wir fahren noch nicht nach Hause! Wir gehen in die Stadt. Wir gehen jetzt zu Pizza Pacino’s und bestellen uns dort die allergrößte Pizza, die es gibt – wenn wir wollen, mit fünfundzwanzig verschiedenen Sachen drauf! Und danach gehen wir ins Kino. Und danach … danach gehen wir zum Bowling! Und wir bestellen uns Chantilly-Milchshakes und leckere Donuts und leisten uns für die Heimfahrt ein Taxi. Na los«, sagte sie. »Wir zwei machen’s uns heute richtig schön!«
    Und es war wirklich ein herrlicher Tag mit meiner Mam. Und am allerschönsten fand ich nicht die Pizza oder das Bowling, ja nicht mal das Kino. Am allerschönsten fand ich, dass meine Mam so glücklich war. Zu allererst ließ sie sich bei Urdu’s die Haare machen. Und als wir auf dem Weg zu Pizza Pacino’s durch die Kings Street kamen, blieb meine Mam kurz vor dem Schaufenster einer Boutique stehen und betrachtete ein Kleid.
    »Warum gehst du nicht einfach rein und kaufst es, Mam?«, fragte ich. Aber meine Mam lachte nur und sagte: »Na hör mal!«
    Und sie erklärte mir, solche Boutiquen mit ohrenbetäubender Discomusic, in denen lauter gertenschlanke Mädchen einkaufen, seien nichts mehr für Frauen ihres Alters. Sie sagte, da würden sich doch alle fragen, warum so eine alte Frau wie sie nicht bei Dorothy Perkins einkaufe, wo sie hingehörte. Ich runzelte die Stirn. Meine Mam war überhaupt nicht alt! Als noch Freunde zu mir nach Hause kamen, hatten die immer gesagt, meine Mam säh gar nicht wie eine Mam aus, eher wie ein Filmstar oder ein Model, weil sie so sagenhaft hübsch sei! Und obwohl mich das manchmal ein wenig verlegen machte, war ich doch sagenhaft stolz, eine Mam zu haben, die nicht wie eine Mam aussah.
    Und deshalb sagte ich zu ihr, als wir vor der Boutique standen: »Du bist überhaupt nicht alt! Du solltest dir das Kleid unbedingt kaufen.«
    Aber meine Mam lächelte nur und schüttelte den Kopf und wir gingen weiter. Aber dann blieb meine Mam plötzlich mitten auf dem Gehweg stehen, schaute mich an und sagte: »Nein! Du hast Recht, mein Junge! Du und Dr. Janice, ihr habt ja völlig Recht. Wir haben jetzt lang genug Angst gehabt. Komm.«
    Und sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Boutique zurück.
    Dort kaufte sie sich nicht nur das neue Kleid, sondern auch noch neue Schuhe. Und sie bat die Verkäuferin, ihr die alten Schuhe und das alte Kleid einzupacken, weil sie die neuen Sachen gleich anbehalten wollte. Meine Mam sah phantastisch aus. Sie sah viel besser aus als diese gertenschlanken Mädchen. Und als wir im Pizza Pacino’s saßen, zwinkerte der Kellner mit der Pfeffermühle und dem Schnauzbart meiner Mam die ganze Zeit zu und sagte: »Ciao, bella« , obwohl man genau merkte, dass er aus Prestwick oder Stockport stammte. Meine Mam sagte, der sei ja ganz schön aufdringlich und das gehe doch wirklich ein bisschen zu weit. Aber man merkte genau, dass sie es gar nicht so meinte. Und normalerweise nervt es mich, wenn meiner Mam jemand zuzwinkert und »Ciao, bella« zu ihr sagt, aber an diesem Tag nervte es mich überhaupt nicht. Ich war einfach nur froh, dass meine Mam so glücklich aussah. Und so hübsch. Und so jung, wie sie wirklich war.
    Und als ich sie fragte, welchen Film sie sehen wolle, schaute sie mich entgeistert an, als sei diese Frage völlig überflüssig, und sagte: »Natürlich Die Rückkehr der Jedi-Ritter !«
    Jetzt war ich überrascht. Denn eigentlich fand meine Mam Star Wars furchtbar langweilig und vor einiger Zeit war sie in Die Rückkehr der Jedi-Ritter sogar eingeschlafen. Und dabei hatten wir uns den Film erst das fünfte Mal angeschaut!
    Ich sagte, es müsse wirklich nicht unbedingt ein Star Wars -Film sein und sie könne sich gern irgendwas anderes

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