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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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verdrängt zu werden drohte.
    Und dann, als es, wie Mrs. Keogh sagte, »schon fast so aussah, als hätte diese verdammte Welt da draußen unsere arme kleine Paulette vergessen«, fiel in den Sechs-Uhr-Nachrichten auf GMR der Name Paulette Patterson plötzlich wieder an erster Stelle und der Sprecher verkündete mit ernster Stimme, es gebe jetzt »neue Erkenntnisse« bei der Suche nach dem vermissten Kind.
    Die Nachbarinnen scharten sich ums Radio, schlossen die Augen und wagten kaum zu atmen, als der Polizeisprecher von dem Kleidungsstück berichtete, das man auf einem öffentlichen Grundstück am Rand eines Schlackenwegs gefunden hatte. Es sei noch zu früh, meinte der Polizeisprecher, um etwas Genaueres zu sagen, aber er könne bestätigen, dass es sich um Damenunterwäsche handle. Ja, und die Größe des betreffenden Wäschestücks deute darauf hin, dass es einem Kind gehöre.
    Die Nachbarsfrauen warfen sich gequälte Blicke zu; Mrs. Machonochie begann zu weinen.
    Aber ich und meine Mam, wir wussten nichts von den Nachbarinnen, nichts von den Gebeten und Kerzen, nichts von den Mahnwachen, die in der Abenddämmerung begannen und bis zum Morgengrauen währten.
    Wir wussten auch nichts von dem zwangspensionierten Milchmann aus Gatley, der, statt im Bett rumzuliegen und über sein Schicksal nachzugrübeln, lieber früh aufstand und mit seinem Hund einen schönen Morgenspaziergang machte – den Treidelpfad entlang, unter den alten Brücken hindurch und dann an der Schleuse vorbei.
    Wir wussten nichts von ihm. Auch nicht, dass sein Hund, der sonst immer aufs Wort gehorchte, an jenem Morgen auf die Schuppen und die verlassenen Gebäude zugerannt war, dort bellend und jaulend stehen geblieben und trotz mehrfachen Rufens nicht zu seinem Herrchen zurückgekommen war.
    All das wussten wir nicht.
    Wir wussten nicht, dass der Milchmann vom Treidelpfad zu den verlassenen Gebäuden hinübergelaufen war, um den kläffenden Hund auszuschimpfen und wieder an die Leine zu nehmen.
    Von all dem wussten wir nichts; auch nicht, dass der Milchmann einen Schreck bekam, ungläubig die Augen aufriss, dass sein Herz wild hämmerte, als er durch das rostige Metallgitter ins Dunkel hinabspähte – und dort im Schatten das kleine Gesichtchen entdeckte, aus dem schreckgeweitete Augen zu ihm emporstarrten.
    All das wussten wir nicht, ich und meine Mam.
    Zuerst dankte die kleine Schar der Nachbarinnen Gott, dass man das Kind lebend gefunden hatte. Sie umarmten und küssten sich, sie lächelten und weinten vor Freude über diese wundervolle Nachricht und die Menge wurde größer, es gesellten sich Neugierige und Schaulustige hinzu, zufällig vorbeikommende Passanten. Doch während alle noch wartend herumstanden und überlegten, wie sie das Kind willkommen heißen sollten, kamen Gerüchte auf: Das Kleid des Mädchens sei zerrissen gewesen, sie habe keine Unterwäsche mehr angehabt, ihre Beine seien blutig und zerkratzt gewesen, ihre Arme von Prellungen übersät.
    Als dann die Einzelheiten bekannt wurden, stellte man die Dankgebete ein. Nach Auskunft der Polizei glich Paulette einem völlig verängstigten, zitternden kleinen Tier und stand noch zu sehr unter Schock, um etwas auszusagen. Sie habe ein so schweres Trauma erlitten, sie habe so Schreckliches durchgemacht, sagte ein Polizeisprecher, dass sie vielleicht nie mehr sprechen werde.
    Ungeachtet dessen kündigte derselbe Polizeisprecher an, dass man alles tun werde, um den Täter zu finden, der für diese schlimme Tat und das unsägliche Leiden des hilflosen Kindes verantwortlich sei.
    Und dann fragte jemand, wo man das Mädchen eigentlich gefunden habe. Und jemand, der es von jemand anderem erfahren hatte, der sich ganz sicher war, sagte: »Am Kanal!«
    Von all dem wussten ich und meine Mam nichts. Wir ließen uns die Pizza schmecken und vertrugen uns wieder wunderbar. Deshalb schmeckte mir meine Pizza auch wie die allerbeste Pizza im ganzen Universum: weil meine Mam sich wieder mit mir vertrug. Ich fühlte mich glücklich und geborgen – weil ich wusste, dass ich mir um nichts in der Welt Sorgen machen musste, solange meine Mam und ich nur fest zusammenhielten.
    Aber ich ahnte ja nicht, was passiert war. Und meine Mam ahnte es auch nicht.
    Wir ahnten nichts von den Nachbarinnen, die ihre Dankgebete inzwischen eingestellt hatten und sich jetzt erinnerten, dass zu Beginn des Sommers doch irgendetwas unten am Kanal passiert war. Sie hatten damals doch irgendwas von unschuldigen Kindern,

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