Der Fliegenfaenger
aussuchen. Aber meine Mam beharrte drauf und sagte: »Nein! Ich will Die Rückkehr der Jedi-Ritter sehen!«
Erst dachte ich, sie tue es mir zuliebe, weil ich im Krankenhaus gewesen war. Aber dann hatte ich das Gefühl, dass sie der Film wirklich interessierte, und als wir aus dem Kino kamen und zum Bowling gingen und leckere Donuts mampften, löcherte mich meine Mam die ganze Zeit mit Fragen, zum Beispiel, was man tun müsse, um ein Jedi-Krieger zu werden, und warum die Wookies und die Ewoks keine Lichtschwerter hätten. Und sie wirkte keine Sekunde gelangweilt. Und als sie sogar Obi-Wan Kenobis Namen richtig aussprach, da wusste ich, dass ihr Interesse echt war. Denn wenn ich meiner Mam bisher von Star Wars erzählt hatte, hatte sie den Namen immer falsch verstanden und irgendwas Dummes gesagt, zum Beispiel Obi- John Kenobi oder so.
Aber an jenem Tag, als sie mich vom Krankenhaus abholte und mit mir in die Stadt ging, an jenem Tag, als sie so jung und hübsch aussah und sich fest vornahm, ihre Angst abzuschütteln – an jenem Tag war nichts von dem, was meine Mam sagte oder tat, auch nur im Mindesten dumm.
Alle Dummheit passierte an jenem Tag woanders; dort, wo sich gewisse Dinge ereigneten. Dinge, von denen ich nichts wusste – noch nicht. Dinge, von denen ich erst viele Jahre später erfahren sollte.
Ich war mit meiner Mam in der Stadt. Und davor war ich im Krankenhaus gewesen. Deshalb hatte ich nichts davon gehört. Und am Abend zuvor hatte sich meine Mam solche Sorgen um mich gemacht, dass sie weder das Radio noch den Fernseher eingeschaltet hatte. Und deshalb hatten weder ich noch meine Mam die North West News angeschaut oder die Nachrichten auf GMR gehört. Und deshalb wussten wir nichts von dem kleinen Mädchen, das verschwunden war; wir wussten nichts von der Suche im Park, wir wussten nicht, dass man Schuppen, abgelegene Wege und Garagen durchkämmt hatte. Wir wussten nichts von der Sandale, die man am Rand eines Schrebergartens gefunden hatte, von der zerschrammten braunen Sandale mit der kaputten Schnalle.
Weder ich noch meine Mam hatten etwas davon gehört.
Und wir wussten auch nicht, dass eine Pressekonferenz stattfand und die Eltern des Mädchens sich an die Öffentlichkeit wandten; der Vater legte seiner Frau den Arm um die Schultern und appellierte an jeden, der vielleicht irgend etwas beobachtet hatte, sich zu melden und die Polizei bei der Suche nach seiner schönen, geliebten, fröhlichen kleinen Tochter zu unterstützen. Dann brach er weinend zusammen. Doch seine Frau weinte nicht. Seine Frau saß da wie tot. Und der Detective Sergeant sagte dem Reporter, das sei oft so, wenn ein Mensch plötzlich so einen Alptraum durchmacht; den schlimmsten aller Alpträume, den Alptraum, vor dem allen Eltern graut.
Und dann folgten Bilder von der Mahnwache; die Nachbarinnen, die Mütter, die das Kind kannten, standen im Dunkeln vor dem Haus, hielten Kerzen in der Hand und schworen, so lange wie nötig auszuharren; sie erklärten der Frau von den Granada News , dass sie notfalls ewig dort stehen und für das kleine Mädchen beten würden, für dieses kleine Mädchen, das immer gelächelt habe und so ein fröhliches, lebhaftes Kind sei. Und die Frau mit dem Mikrofon fragte Mrs. Machonochie, ob sie die kleine Paulette für die Zuschauer vielleicht mit einem Wort charakterisieren könne. Und Mrs. Machonochie unterdrückte ein Schluchzen, wischte sich mit einem Taschentuch die Augen und sagte an die Zuschauer gewandt, es gebe so viele schöne Wörter, die auf die kleine Paulette zuträfen. Und dann brach Mrs. Machonochie in Tränen aus und wurde von Mrs. Kershall getröstet und die Interviewerin nickte mitfühlend und verständnisvoll und die Kamera verweilte auf Mrs. Machonochies gequältem Gesicht, und kurz bevor wieder ins Studio zurückgeschaltet wurde und die Werbepause kam, zeigte man noch ein Foto des kleinen Mädchens; es trug eine Schuluniform und lächelte; vielleicht etwas ängstlich, aber es lächelte und gab sich alle Mühe, wie ein nettes kleines Mädchen auszusehen.
Aber dieses Foto kannten wir nicht, meine Mam und ich. Wir hatten nicht ferngesehen oder die ganze Nacht Radio gehört, wie es die Nachbarinnen taten, die während ihrer Kerzenwache stündlich die neuesten Meldungen hörten und es fast als persönlichen Verrat empfanden, als die Topmeldung im Lauf der Nacht immer weiter nach hinten rückte, zu einer Nachricht unter vielen wurde und von neueren Tragödien, aktuelleren Dramen
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