Der Fliegenfaenger
»Sie glauben, Raymond könnte etwas damit zu tun haben? Er ist doch noch ein Junge!« Ihre Stimme wurde immer klagender und höher. »Er ist ja selber noch ein Kind!« Meine Mam stieß sich von der Treppe ab und wich vor dem Detective Sergeant und den Polizisten zurück. Ihr Gesicht war zu einer Maske des Grauens verzerrt. »Ein Junge«, wimmerte sie, »ein Kind!«
Der Detective Sergeant schüttelte den Kopf. »Heutzutage gibt es keine Kinder mehr. Die Zeiten sind vorbei.«
Meine Mam starrte ihn voller Abscheu an. Und dann zeigte sie plötzlich auf die Tür. »Raus!«, sagte sie. »Alle raus! Verlassen Sie sofort mein Haus!
Aber sie reagierten nicht! Der grauenhafte Kriminalbeamte ging einfach auf meine Mam zu, die bis zur Küchentür vor ihm zurückwich.
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu«, sagte er. »Hören Sie mir gut zu. Eine Mutter versucht instinktiv, ihren Sohn zu schützen. Das kann ich verstehen. Aber Sie wissen doch genauso wie ich Bescheid; Sie wissen, was er seinen kleinen Freunden angetan hat, unten am Kanal. Sie haben sich doch auch Sorgen um ihn gemacht, nicht wahr, Mrs. Marks? Deshalb sind Sie ja mit ihm zum Psychiater gegangen, oder? Weil eine Mutter so etwas spürt, Mrs. Marks. Eine Mutter kennt ihren Sohn besser als jeder andere Mensch. Sie haben mir ja von seiner blühenden Phantasie erzählt und anscheinend macht es ihm Spaß, einem siebenjährigen Mädchen etwas über Prostitution zu erzählen, über Dinge, die nun wirklich nicht für die Ohren eines siebenjährigen Mädchens bestimmt sind!«
Meine Mam stand da, und ich sah ihr an, dass sie sich gegen seine Worte sperrte. Sie starrte einfach geradeaus und versuchte gar nicht hinzuhören.
»Und vermutlich wissen Sie auch«, fuhr er fort, »dass er gestern Abend gar nicht draußen im Garten gespielt hat. Also fragen Sie sich doch selbst; wenn er nicht im Garten war, wo war er dann in der betreffenden Stunde? Wo hat er gesteckt? Und was hat er getan?«
In diesem Moment brach der Schrei aus mir raus. Ich wusste nicht, woher er kam, ich wusste nicht mal, dass ich es war. Ich hörte nur diesen verängstigten, halb erstickten Schrei: »Ich war im Garten! Ich war im Garten!«
Und meine Mam kam die Treppe raufgestürmt, riss mich an sich und rief genauso klagend und weinend wie ich: »Ich weiß, Kind, ich weiß! Ich weiß, dass du im Garten warst! Ich weiß, dass du niemals … Ich weiß, du könntest nie … Was sagen die denn da, Raymond? Was sagen die denn da?«
Und plötzlich stand er vor uns. Oben an der Treppe. Wir kauerten im Dunkeln auf dem Treppenabsatz und er starrte uns an.
»Wir sagen Folgendes, Raymond«, begann er, »wenn du deine Mam lieb hast, und davon gehe ich einfach mal aus, dann erzählst du uns jetzt am besten, was du mit der kleinen Paulette gemacht hast. Ich weiß, dass du anschließend Schuldgefühle hattest, Raymond, nicht wahr? Sonst wärst du nicht ins Wasser gesprungen. Du hast dich doch umbringen wollen, Raymond, stimmt’s?
»Komm mit, komm mit!«, sagte meine Mam plötzlich und führte mich am Treppenabsatz entlang. »Hör nicht auf ihn«, sagte sie, »komm einfach mit, Kind, komm!«
Sie drängte sich an dem grässlichen Kriminalbeamten vorbei und führte mich die Treppe runter. »Sag nichts«, befahl sie. »Komm einfach mit.«
»Wo wollen Sie denn hin, Mrs. Marks?«, hörte ich ihn von oben rufen.
Aber meine Mam gab keine Antwort. Und als wir unten waren, schnappte sie sich unsere Mäntel, die über dem Treppengeländer hingen, und sagte: »Zieh das an.«
Sie half mir in meinen Mantel. Und ich hörte einen der beiden normalen Polizisten sagen: »Was machen Sie denn da? Wo wollen Sie denn hin?«
»Keine Angst, Kind«, beruhigte sie mich, ohne auf ihn zu achten. »Die können uns nicht aufhalten. Bestimmt nicht.«
Jetzt kam der Detective Sergeant die Treppe runter und sagte: »Sie können nicht einfach weglaufen. Glauben Sie etwa, damit helfen Sie ihm? Das Beste wäre, Sie würden der Wahrheit ins Gesicht blicken und ihn dazu bringen, jetzt alles zuzugeben. Er würde Hilfe bekommen, richtige Hilfe, nicht von irgend so einem Quacksalber von Psychiater!«
»Komm«, sagte meine Mam. Und wir verließen unser Haus, in dem sich immer noch die Polizei aufhielt. Aber das schien meiner Mam ganz egal. Sie drängte nur immer wieder: »Komm, schnell. Komm!«, und fegte wie ein Derwisch die Straße entlang, so schnell, dass ich rennen musste, um mitzukommen. Und als wir die Hauptstraße erreichten, wäre sie fast
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