Der Fliegenfaenger
überfahren worden, weil sie einfach mitten auf die Straße rannte und einem Taxi zuwinkte, das im letzten Moment zum Stehen kam, direkt vor meiner Mam, mit quietschenden Reifen und kreischenden Bremsen. Der Fahrer schrie meine Mam an, ob sie bescheuert sei oder was, aber sie ignorierte ihn einfach, riss die Tür auf und sagte, er solle uns ins Krankenhaus fahren.
Er sagte irgendwas Gemeines wie »Sie gehören wohl eher ins Irrenhaus!«
»Warum?«, fragte ich meine Mam. »Warum fahren wir denn ins Krankenhaus?«
Meine Mam nahm meine Hand und drückte sie ganz fest.
»Schon gut«, sagte sie. »Alles wird gut. Wir fahren zu Janice. Wir fahren zu Dr. Janice und dann wird alles gut. Dann wird alles wieder gut, ganz bestimmt, ganz bestimmt!«
Und dann saß meine Mam da, starrte vor sich hin und nickte die ganze Zeit wie ein kleiner Spatz. Und manchmal murmelte sie vor sich hin: »Es wird alles gut … ganz bestimmt … es wird alles wieder gut.«
Ihre Stimme klang völlig verzweifelt und sie hielt meine Hand so fest umklammert, dass ich Angst hatte, sie würde mir die Finger brechen. Aber trotzdem zog ich meine Hand nicht weg. Denn obwohl es wehtat, war ich doch froh, dass meine Mam mich fest hielt. Das Einzige, was mir jetzt noch real vorkam, war meine Mam. Alles andere war wirr und verrückt wie ein absurder Alptraum. Aber so lange ich meine Mam hatte, so lange mir meine Mam glaubte, dass ich dem kleinen Mädchen nichts getan hatte, war mir alles andere egal. Es war ja alles vollkommen idiotisch und es musste sich um einen Irrtum handeln, denn ich war doch nur ein kleiner Junge. Wie konnte ich denn etwas getan haben, was böse Männer kleinen Mädchen antun? Und so lange mir meine Mam glaubte, so lange sie meine Hand umklammert hielt und sagte, alles wird gut, so lange wusste ich auch, dass alles gut werden würde. Es war mir ganz egal, was er gesagt hatte, dieser verdammte Detective Sergeant. Es war mir ganz egal, was irgendein Detective Sergeant der Welt über mich behauptete, so lange ich nur bei meiner Mam war, und meine Mam mir glaubte, dass ich dem kleinen Mädchen nichts getan hatte. Ich wusste, dass es sehr tapfer von meiner Mam war, einfach an den Polizisten vorbeizulaufen, einfach aus dem Haus zu rennen und alles hinter sich zu lassen. Und jetzt wollte sie die ganze Sache klären, indem sie ins Krankenhaus zurückfuhr und mit Dr. Janice redete. Und das war genau das Richtige, weil Dr. Janice alles verstand. Die wusste, dass ich nichts von all dem getan hatte, was der Detective Sergeant mir unterstellte; sie wusste, dass ich »meinen kleinen Freunden« nichts »angetan« hatte, dass ich nicht versucht hatte, mich umzubringen, und dass es mir auch nicht »Spaß machte«, schmutzige Dinge zu meiner kleinen Kusine zu sagen. Und weil sie Ärztin war, würde Dr. Janice der Polizei alles erklären und die würden ihr zuhören müssen und dann würden sie wissen, dass ich noch ein Junge war, und zwar ein Junge, der es niemals fertig gebracht hätte, etwas zu tun, was böse Männer kleinen Mädchen antun.
Doch Dr. Janice war nicht da. Und meine Mam schien das erst gar nicht zu begreifen.
»Aber sie muss da sein«, sagte meine Mam.
Ich sah, dass es die Krankenschwester nervte. »Nein, sie ist nicht mehr hier!«, wiederholte sie.
Meine Mam runzelte die Stirn. »Soll ich dann morgen wiederkommen?«
Die Schwester schüttelte den Kopf. »Dr. Barnes wird auch morgen nicht da sein!«, sagte sie. »Dr. Barnes ist hier nicht fest angestellt. Sie hat heute nur eine Vertretung übernommen.«
Meine Mam sah sich um, als könne sie Dr. Janice doch noch irgendwo im Flur entdecken, wenn sie nur lange genug suchte.
»Es tut mir Leid«, sagte die Schwester. »Aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.«
Sie wandte sich zum Gehen, doch da sagte meine Mam: »Wo ist sie? Wo kann ich sie finden?«
Die Schwester drehte sich wieder um und seufzte vernehmlich. »Hören Sie«, sagte sie. »Selbst wenn ich wüsste, wo man Dr. Barnes erreicht, dürfte ich Ihnen keine Auskunft darüber geben.«
»Aber es ist wichtig«, sagte meine Mam, »es ist sehr wichtig! Könnten Sie sie nicht anrufen und ihr sagen, dass ich sie sprechen muss? Sagen Sie ihr, es ist Mrs. Marks! Und Raymond!«
»Das geht nicht!«, erwiderte die Schwester. »Von allem andern mal ganz abgesehen wüsste ich gar nicht, wo sie zu erreichen ist. Ich hab Ihnen ja gesagt, Dr. Barnes übernimmt nur Vertretungen. Ich weiß nicht, wo sie morgen arbeitet. Sie könnte in Leeds
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