Der Fliegenfaenger
genau wie alle andern in Failsworth, ich hätte Paulette was getan!«
Jetzt protestierte meine Mam und sagte nein, das denke sie überhaupt nicht. Aber ich hörte nicht hin. »Deshalb hast du mich nicht mehr lieb«, sagte ich. »Ich weiß, dass du mich nicht mehr lieb hast und dass du lieber einen Sohn wie Malcolm hättest! Malcolm kann tun, was er will, ihm machst du nie einen Vorwurf, aber mir die ganze Zeit!«
Jetzt sah mich meine Mam erschrocken an, kam auf mich zu und sagte: »Aber nein, nein … na komm, komm schon.« Und ich wusste genau, dass sie mich umarmen wollte, aber ich wollte jetzt nicht von ihr in den Arm genommen werden. Ich sah ihr direkt in die Augen und sagte: »Tja, du wirst dir Malcolm leider aus dem Kopf schlagen müssen. Malcolms Vater hat nämlich ein Angebot bekommen, bei den Beach Boys in Amerika mitzuspielen, und er nimmt Malcolm wieder mit!«
Meine Mam sah aus, als hätte man ihr einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Es war schrecklich, welcher Schock, welcher Schmerz sich in ihrem Gesicht spiegelte. Aber für mich wurde dadurch alles nur noch schlimmer; denn sie war ja nicht meinetwegen so verzweifelt! Sondern wegen Malcolm! Wenn sie meinetwegen so verzweifelt gewesen wäre, dann wär ich bestimmt nicht weggelaufen.
Es war das erste Mal überhaupt, dass ich von zu Hause weglief. Aber wahrscheinlich zählt das gar nicht, weil ich ja nicht richtig weglief, zum Beispiel nach Liverpool oder London; nein, ich setzte mich einfach in den nächsten Bus nach Failsworth und fuhr zu meiner Oma zurück. Aber dort angekommen, bereute ich es gleich, denn auf mein Läuten hin öffnete mir mein Drecksonkel Jason. Und ich wusste sofort, warum er da war, denn als ich durch den Flur lief, hörte ich meine fiese Tante Fay im Wohnzimmer auf meine Oma einreden: »Schau doch mal, Vera – achtundvierzig internationale Kanäle! Was für eine Verschwendung! Ich weiß wirklich nicht, was du mit all diesen Sendern anfängst, wo du doch überhaupt so selten guckst!«
Die ließen nicht locker! Mein Drecksonkel Jason und meine Fürchterliche Tante Fay. Von Anfang an hatten sie ein Auge auf diese Satellitenschüssel geworfen. Schon an dem Tag, als mein Opa vom Dach gestürzt war und noch als lauwarme Leiche auf der Terrasse lag, hatte mein Drecksonkel Jason sofort zu meiner Oma gesagt: »Na, jetzt brauchst du diese vielen Sender ja nicht mehr!«
Aber meine Oma hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie ihre Satellitenschüssel auf alle Fälle behalten werde, weil den Medien die Zukunft gehöre und weil es für sie ein tröstlicher Gedanke sei, via Satellitenfernsehen auf elektronischem Wege mit dem Reichtum und der Vielfalt des europäischen Festlands verbunden zu sein.
Onkel Jason sagte, das sei doch alles Quatsch. Aber meine Oma achtete gar nicht auf ihn, sondern fragte sich laut (wie schon so oft), warum sich ihre erste Leibesfrucht zu einer dickhäutigen, sauren, bitteren Grapefruit entwickelt habe. Onkel Jason wurde ärgerlich und Tante Fay schalt meine Oma ein böses altes Weib. Und aus Protest drohte Tante Fay, dass sie und Onkel Jason vielleicht nicht zur Beerdigung meines Opas kommen würden.
»Ist mir doch egal«, hatte meine Oma gerufen, als sie hoch erhobenen Hauptes zur Haustür hinausstolzierten. » Ich komme ganz bestimmt nicht!«
Und meine Oma war tatsächlich nicht gekommen. Während mein Opa beerdigt wurde, besuchte sie ein Treffen der Progressiven Pensionäre und beteiligte sich an einer lebhaften, teils sogar hitzigen Debatte um die Wirkung von Marihuana auf über sechzigjährige Konsumenten.
Nach diesem Vorfall redeten Onkel Jason und Tante Fay eine Ewigkeit nicht mehr mit ihr. Sie nannten sie eine dumme alte Kuh, gleichgültig und herzlos. Aber am Ende überwog die grenzenlose Gier nach der Satellitenschüssel doch ihre moralische Entrüstung. Onkel Jason und Tante Fay schauten wieder ab und zu bei meiner Oma vorbei, machten unablässig Anspielungen auf die Satellitenschüssel und versuchten es mit allen möglichen Strategien. So auch an jenem Abend, als ich aus Wythenshawe kam. Und ich kam gerade noch rechtzeitig, denn ich glaube, sie hatten meine Oma fast weich geklopft. Als sie mich in der Tür stehen sah, rief sie: »Ach, Raymond! Komm her, mein Herzblatt, komm her, gib deiner Oma einen Kuss!«
Und als ich es tat, warfen sich meine Tückische Tante und mein Ominöser Onkel finstere, missbilligende Blicke zu. Mein Onkel sagte: »Ich weiß wirklich nicht,
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