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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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schuld. Langsam hatte ich genug von Malcolm. Und als mich meine Mam fragte, wie ihm der Pullover gefallen habe, spielte ich kurz mit dem Gedanken, ihr einfach zu sagen, Malcolm müsse wieder nach Amerika zurück. Aber sie sah mich so begierig und erwartungsvoll an, dass ich ihr erzählte, Malcolm sei von dem Geschenk begeistert gewesen und habe freudestrahlend gesagt: »Wow! Ray! Den hat deine Mom für mich gekauft?« Und dann habe er mit feuchten Augen noch einmal nachgefragt: »Extra für mich?« Jetzt habe Malcolm nicht mehr weitersprechen können und zu Boden geschaut. Dann habe er den Kopf geschüttelt und sich zusammengerissen und den Pullover an sich gedrückt, als wolle er ihn nie mehr hergeben. Und dann habe er gesagt: »Ray … deine Mom … ich glaube, sie ist … ein ganz besonderer Mensch.«
    Was Malcolm sonst noch alles über den Pullover gesagt hatte, brauchte ich meiner Mam nicht zu erzählen, denn jetzt strömten ihr die Tränen übers Gesicht, und sie rannte raus, um ein Stück Küchenrolle zu holen.
    Und als ihre Tränen versiegt waren, sagte meine Mam: »Ist es nicht ein schöner Gedanke, dass es so einen liebenswerten Jungen wie Malcolm gibt? Was hört man nicht alles über die Jugendlichen von heute«, sagte sie, »dauernd Probleme, nicht in den Griff zu kriegen, kein Respekt und keine Manieren; schwänzen die Schule, treiben sich den ganzen Tag in der Stadt rum, brüllen unflätiges Zeug, begehen Ladendiebstahl, bringen sich in Schwierigkeiten …«
    Meine Mam schüttelte den Kopf, und ich überlegte, ob sie am Ende herausgekriegt hatte, dass ich nicht mehr zur Schule ging. Und dass ich manchmal Sachen klaute. Eigentlich war es kein schlimmer Ladendiebstahl. Angefangen hatte es mit ein paar Nudelpackungen. Und eigentlich war es idiotisch, weil ich sie ja nicht mal kochen konnte. Aber dann fand ich heraus, dass sie irgendwann richtig weich werden, wenn man mit viel Spucke lange genug drauf rumkaut. Und am Ende schmeckten sie mir sogar ganz gut. Nur das Stehlen gefiel mir nicht. Ich hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen. Und als meine Mam von den Jugendlichen sprach, die sich den ganzen Tag in der Stadt herumtreiben und Ladendiebstahl begehen, dachte ich, jetzt sei alles aufgeflogen, meine Mam wisse Bescheid und ich müsse ihr alles beichten. Im Grunde war ich sogar froh drüber. Denn ich wollte kein Ladendieb mehr sein und ich wollte auch nicht mehr die Schule schwänzen und meine Mam andauernd belügen. Klar, erst mal würde sie mich anschreien und sich furchtbar aufregen. Aber dann würde sie verstehen und mir helfen, damit alles wieder in Ordnung kam. Und deshalb war ich froh, als sie das mit den Jugendlichen sagte, die in Schwierigkeiten kommen.
    Doch als ich meine Mam ansah, wurde mir klar, dass sie mich gar nicht meinte. Ja, scheinbar hatte sie mich ganz vergessen, denn als sie jetzt weitersprach, starrte sie geistesabwesend in die Ferne: »Ist das nicht wundervoll, wenn da plötzlich einer wie Malcolm auftaucht? Er ist so ein guter und netter Junge, er gibt einem glatt den Glauben an die heutige Jugend zurück.«
    Meine Mam saß da und blickte verträumt in die Ferne. Und da regte sich plötzlich Eifersucht in mir. Das klang ja, als habe sie Malcolm lieb ; als habe sie ihn lieber als mich! Und ich warf ein: »Na ja, das kann man auch nicht gerade sagen, dass er immer ein guter und netter Junge ist.«
    Meine Mam starrte mich ungläubig an und runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«, fragte sie.
    Ich zuckte die Achseln. »Manchmal«, sagte ich, »… trickst er.«
    Jetzt sah mich meine Mam richtig angewidert an. »Er trickst?«, fragte sie. »Was meinst du damit, Raymond – er trickst ?«
    »Er trickst«, wiederholte ich. »Wenn wir zum Beispiel eine Englischarbeit schreiben. Statt selber Antworten zu finden, schaut er mir einfach über die Schulter und schreibt ab.«
    Meine Mam wirkte richtig verärgert. Das freute mich, weil ich dachte, sie ärgere sich über Malcolm. Aber da sagte sie: »Mach dich nicht lächerlich, Raymond! Malcolm und tricksen? Malcolm würde nie tricksen! Ein Junge wie Malcolm hat das nicht nötig.«
    Ich starrte sie an. Woher zum Teufel wollte sie das wissen? Sie kannte ihn doch gar nicht!
    »Doch!«, beharrte ich. »Er trickst. Er trickst andauernd, weil er -«
    »Hör mal«, unterbrach mich meine Mam. »Pass jetzt lieber auf, was du sagst, Raymond Marks! Wenn jemand nur mal kurz seine Antworten vergleicht, trickst er doch nicht!«
    Sie sah mich böse an,

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