Der Fliegenfaenger
an, als sei sie ein bisschen verwirrt. Und ich sagte: »Also, Oma, du willst deine Satellitenschüssel doch behalten, nicht wahr?«
Erst blinzelte sie ein bisschen. Dann lächelte sie mich strahlend an, als sei ich gerade erst hereingekommen, und sagte: »Hallo, mein Junge! Schaut nur«, sagte sie zu meiner Tante und meinem Onkel, »schaut nur, wer gekommen ist! Raymond, mein Herzblatt. Na komm, gib deiner Oma einen dicken Kuss.«
Und im ersten Moment dachte ich, dass sie mit diesem Trick allen weiteren Diskussionen über Satellitenschüsseln einen Riegel vorschieben wollte. Und es schien wirklich zu funktionieren, denn Tante Fay stand auf und meinte: »Komm, Jason, der Wellensittich ist bestimmt schon ganz unruhig.« Während sie ihren Mantel zuknöpfte, drehte sie sich zu meiner Oma um und sagte: »Wir wollten nur dein Bestes, Vera. Spanisch lernen – das wird dir viel nützen, wenn du hier in der Kälte sitzt und Erfrierungen und Faulbrand kriegst und man dir beide Beine amputieren muss! Aber das ist deine Sache, Vera. Niemand wird sagen können, wir hätten dich nicht gewarnt, Jason und ich. Diese Satellitenschüssel hat schon mal einem Familienmitglied den Tod gebracht. Und ich bete zu Gott, Vera, ich bete zu Gott, dass dieser Winter nicht ein zweites Todesopfer fordert!«
Dann waren sie weg. Und ich fragte meine Oma: »Oma, geht’s dir gut?«
»Ja«, sagte sie, »jetzt schon, wo sie endlich weg sind.«
Und deshalb dachte ich, meiner Oma fehle nichts Ernstes. Ich dachte, sie hätte sich einfach ein bisschen dumm gestellt, um die zwei Satellitenhaie loszuwerden.
»Aber was ist mit dir?«, fragte sie. »Geht’s dir auch gut? Wieso kommst du denn allein den weiten Weg von Wythenshawe hierher?«
Und so erzählte ich meiner Oma die ganze Geschichte. Ich erzählte ihr vom Streit mit meiner Mam. Und ich erzählte ihr von Malcolm. Ich sagte: »Diesen Jungen hab ich einfach erfunden, Oma. Anfangs ist auch alles gut gegangen, aber jetzt nicht mehr, weil Mam über nichts anderes mehr reden möchte; Malcolm hier und Malcolm da, Malcolm morgens, mittags, abends. Und Mam hat Malcolm lieb gewonnen, und deshalb war ich furchtbar eifersüchtig, obwohl ich weiß, wie dumm das ist, weil ich Malcom ja bloß erfunden habe! Irgendwie ist er … mal abgesehen von seinem amerikanischen Akzent … der Junge, der ich mal war vor der Sache mit dem Kanal. Und bevor das mit dem kleinen Mädchen passiert ist.«
Meine Oma starrte mich an und nickte. Und ich glaubte, sie höre mir aufmerksam zu und denke über das nach, was ich ihr gerade erzählte. »Ich weiß, dass es idiotisch ist, auf ihn eifersüchtig zu sein«, fuhr ich fort, »wo er doch nur das ist, was ich mal war. Aber ich bin nun mal eifersüchtig, Oma. Weil ich nicht in Wirklichkeit so sein kann wie er, jedenfalls jetzt nicht mehr. Ich kann nicht mehr der Junge sein, der ich früher mal war. Ich versuch’s ja, Oma. Ich versuche ja, brav zu sein. Aber anscheinend schaff ich’s nicht.«
Jetzt sah mich meine Oma scharf an und ich befürchtete schon, dass es sie vielleicht schockieren und traurig machen würde, wenn sie auch noch den Rest zu hören bekam. Aber ich musste es ihr einfach sagen, ich musste es jemandem erzählen. Und ich wusste, auch wenn sich meine Oma über mich aufregte, würde sie mich doch verstehen und mir vielleicht sogar einen Rat geben können. Deshalb fuhr ich fort: »Ich war seit Monaten nicht mehr in der Schule, Oma. Ich hab die Schule geschwänzt und mich in der Stadt rumgetrieben und ich hab alle Briefe weggeschmissen, die die Schule an Mam geschickt hat!«
Und als ich meiner Oma dann das Allerschlimmste erzählte, konnte ich ihr gar nicht in die Augen sehen, sondern starrte auf den Kaminsims: »Ich bin ein Dieb geworden, Oma. Ich klaue in Läden und eigentlich will ich damit aufhören, aber ich kann nicht anders, und wenn man mich erwischt, wird das für Mam einfach ganz, ganz fürchterlich sein!«
Ich starrte weiter auf den Kaminsims und wartete darauf, dass meine Oma was sagte. Aber sie sagte nichts und ich dachte schon: Jetzt ist sie zum ersten Mal in ihrem Leben so schockiert, dass es ihr die Sprache verschlagen hat. Ich sah sie an. Aber sie lächelte. Und plötzlich sagte sie: »Isst du gern Kentucky Fried Chicken, mein Junge?«
Ich starrte sie an. Das war vor meiner Erleuchtung gewesen, bevor ich Vegetarier geworden bin. Und so schrecklich ich es jetzt finde, damals habe ich Kentucky Fried Chicken wirklich gern gegessen. Aber warum zum
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