Der Fliegenfaenger
genug Grund zur Dankbarkeit, sagte sie. Vielleicht konnten die beiden ja nicht zum Abendessen kommen, aber das Wichtigste sei ja, dass sie nicht nach Baton Rouge zurückmussten! Dann stand meine Mam auf und ging in die Küche. Und als sie so vor sich hinträllerte, das Brot in die Hand nahm und auf den Küchenfliesen ein paar Tanzschritte machte, steckte sie wieder voller Energie.
Und so spann ich die Geschichte mit Malcolm weiter und erzählte meiner Mam wieder jeden Abend, was Malcolm gesagt und was Malcolm getan hatte. Und wenn ich mal zwischendurch Gewissensbisse kriegte, brauchte ich nur meine Mam anzuschauen und zu sehen, wie sie lächelte oder vor sich hinsang. Und dann dachte ich immer: Es kann ja nichts Schlimmes passieren.
Und es passierte auch nichts.
Bis kurz vor meinem Geburtstag.
Ich hätte es merken müssen. Ich hätte merken müssen, dass meine Mam irgendwas im Schilde führte. Aber ich merkte es leider erst, als es zu spät war. Ich wusste ja nicht, dass sie sich eine wundervolle Überraschung für mich ausgedacht hatte. Sie war zu Mrs. Babu Daruwalla gegangen, die im Einkaufsviertel den Eight Till Late führte, und hatte sie gefragt, ob sie ihr vielleicht ein muslimisches Restaurant empfehlen könne. Mrs. Babu Daruwalla war sehr hilfsbereit und gab ihr die Telefonnummer vom Vindaloo Village. Woraufhin meine Mam für meinen Geburtstag einen Tisch für vier Personen reservierte. Sie gab dort sogar eine Geburtstagstorte in Auftrag. Und dann rief sie in der Schule an!
Und als sie mit Mr. Wilson verbunden wurde, bat sie ihn um Entschuldigung für die Störung, aber sie plane für meinen Geburtstag eine Überraschungsparty und wäre ihm wirklich sehr dankbar, wenn er mal heimlich mit meinem amerikanischen Freund Malcolm sprechen und ihn mit seinem Dad für Mittwoch Punkt halb acht Uhr abends ins Vindaloo Village einladen könnte. Aber es müsse unbedingt geheim bleiben, weil es ja eine Überraschung für mich sei. Und ob Mr. Wilson deshalb bitte dafür sorgen könne, dass ich von dem Gespräch mit Malcolm auch ganz bestimmt nichts mitbekam?
Es trat eine Pause ein. Und dann sagte Mr. Wilson am anderen Ende der Leitung: »Entschuldigung, wer ist am Apparat?«
»Mrs. Marks«, antwortete meine Mam, »Raymonds Mutter.«
Wieder trat eine Pause ein. Und dann sagte Mr. Wilson zu meiner Mam: »Mrs. Marks, könnten Sie bitte sofort in die Schule kommen?«
Meine Mam fragte ihn, warum.
Darauf räusperte sich Mr. Wilson und sagte, das würde er lieber nachher persönlich mit ihr besprechen.
»Aber ich habe heute Nachmittag Schicht«, erwiderte meine Mam. »Es ist doch nichts passiert, Mr. Wilson? Raymond geht es doch gut?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte da Mr. Wilson. »Raymond war schon seit fast zwei Monaten nicht mehr in der Schule!«
Und während meine Mam kaum fassen konnte, was sie da gerade gehört hatte, teilte ihr Mr.Wilson noch das Allerschlimmste mit: »Und ich weiß auch nicht, welchen amerikanischen Jungen Sie meinen, Mrs. Marks«, sagte er. »So viel ich weiß, haben wir hier keine amerikanischen Schüler.«
Ich wusste es sofort. Noch bevor ich Mr. Wilson auf dem Sofa sitzen sah, wusste ich, dass die Bombe geplatzt war. Meine Mam wandte mir den Rücken zu und starrte aus dem Fenster, als könne sie meinen Anblick nicht ertragen. Der Fernseher lief ohne Ton und ich stand einfach da und starrte auf den Bildschirm. Jetzt begann meine Mam zu weinen. Dann drehte sie sich um, ging an mir vorbei in die Küche und knallte die Tür hinter sich zu. Ich starrte weiter auf Blue Peter . Wäre es ein normaler Abend gewesen, dann hätten wir jetzt auf ITV umgeschaltet und uns Blockbusters angeschaut. Und es hätte Milchkaffee und überbackenen Käsetoast gegeben, brutzelnd heiß wie der Straßenasphalt im Hochsommer. Und ich hätte meiner Mam erzählt, was Malcolm heute so alles gemacht hatte. Und wenn Bob mal wieder so richtig bescheuert oder die Blockbusters zwischendurch mal wieder zu blöd gewesen wären, hätte ich meiner Mam die lustigsten Sachen von Malcolm erzählt. Und meine Mam hätte gelacht. Und sich gefreut. Wenn es ein ganz normaler Abend gewesen wäre. Aber nichts war normal. Meine Mam weinte in der Küche. Mr. Wilson saß auf unserem Sofa und hatte eine Mappe auf dem Schoß. Der Toast lag ungetoastet im Brotkasten, der Kaffee wartete als Pulver in der Dose. Und auf ITV blockbusterten Bob und die Blockbusters , was das Zeug hielt. Und das alles ohne mich und meine
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