Der Flirt
Farbfotos von Red Moriarty, dem frischen Gesicht. (»Erwecken Sie nicht den Eindruck, Sie hätten sich besondere Mühe gegeben«, wies Simon sie an. »Das wäre uncool. Julian Schnabel trug einen Sarong und Sandalen zu seiner Smokingjacke, als er bei der Oscar-Verleihung auftauchte.« »Wer?«, fragte Rose. »Egal«, sagte Simon. »Wenn Sie erst einmal berühmt sind, können Sie sich bei unbedeutenden Veranstaltungen richtig fein rausputzen, doch um überhaupt berühmt zu werden, ist es ungeheuer wichtig, sich bei wichtigen Terminen eher nachlässig zu kleiden.«) Und so durfte Rose, vorausgesetzt, es war spärlich, alles tragen, was sie anziehen würde, um zu putzen − worüber sie selbst ein wenig enttäuscht war, alle anderen jedoch begeistert.
Mick, Roses Vater, war der Knüller der Party. Sauber rasiert und ohne seinen Overall, machte er in einem dunklen Leinenanzug, den Rose noch nie gesehen hatte, wahrlich eine gute Figur.
»Woher hast du den denn?«, wollte sie wissen.
»Hab ich in der Marylebone High Street geklaut. Paul Smith. Hübsch, was? Nein, er ist aus der Kleiderkammer des
Cancer Research.« Er blinzelte. »Die haben da ganz hübsche Sachen.«
Nach einem Abend voller Eroberungen sah Rose ihn mit einer großen Blondine am Arm die Galerie verlassen, die eine Leidenschaft für das Baugewerbe hatte und, wie Mick ihr später anvertraute, »eine äußerst zweckdienliche Phantasie, bei der es gerne auch ein bisschen grob zugehen darf«.
Ricki tauchte kurz auf, klammerte sich an ein volles Glas Champagner und wirkte ungewohnt nervös. »Nicht ganz meine Szene«, entschuldigte sie sich und drückte Rose einen Kuss auf die Wange, bevor sie wieder ging.
Selbst Sam kam.
Er war direkt von der Arbeit gekommen und blieb nicht lange. Anscheinend musste er auf dem Heimweg noch bei einem Kunden vorbeischauen.
»Hey, den Sessel kenne ich doch irgendwoher!« Er überlegte. »Hat der nicht der alten Dame gehört … du weißt schon … wie hieß sie noch?«
»Mrs. Henderson«, half Rose ihm aus.
»Ja! Mein Dad musste jeden Winter ungefähr fünf Mal ihren Boiler reparieren. Sie wollte ihn partout nicht gegen einen neuen austauschen. Wow.« Er trank noch einen Schluck Champagner. »Das ist also ihr Sessel, was?«
»Ja.«
Sie merkte, dass er nach Worten suchte, um ihr etwas Begeistertes zu sagen.
»Hey.« Er nickte wie so ein Wackeldackel, den die Leute sich im Auto hinten auf die Hutablage stellen. »Gut gemacht!«
»Das sagen alle.«
Den Rest des Abends wurde Rose von Simon herumgeführt, Dutzenden erheblich älteren Leuten vorgestellt, die sich mit Phrasen, denen sie nicht folgen konnte, ausführlich
mit ihr über ihre Arbeit unterhielten. Es war schockierend, wie viel sie hineininterpretierten.
»Das verblichene Zierdeckchen! Wie rührend!«
»Und der Geruch des Objekts! Wie haben Sie das hingekriegt?«
»Die Karten − haben sie aus einem bestimmten Grund eine bestimmte Größe?«
Wenn sie nur lange genug den Mund hielt, beantworteten die Leute sich ihre Fragen meist selbst.
Alles in allem war sie umso erfolgreicher, je weniger sie tat.
Am Ende der Woche war um sie herum ein ausgesprochener Hype entstanden. Fast alles, was sie anfasste, wurde nicht nur als Kunstwerk betrachtet, sondern auch als beißender gesellschaftlicher Kommentar. Zwei Tage nach der Vernissage stellte sie einen Teebecher auf den Empfangstisch, um festzustellen, dass er später bei eBay auftauchte und am selben Abend noch von einem amerikanischen Sammler für sechshundert Pfund ersteigert wurde.
Anscheinend war der Titel des Kunstwerks »Mein Becher ist leer«.
Von da an trank sie aus Wegwerfbechern.
Es ging auch das Gerücht um, dass die Shorts, die sie am Abend der Ausstellungseröffnung getragen hatte, kopiert und für Topshop gestohlen wurden, die höchste Ehre, die die britische Öffentlichkeit zu bieten hatte. Die Tatsache, dass sie sie ursprünglich dort gekauft hatte, rückte das Ganze in ein recht surreales Licht.
Sie wurde überallhin eingeladen. Man bat sie, für Garrard eine Schmuckkollektion zu entwerfen. Elton John lud sie in seine große, rosafarbene Villa in der Nähe von Monte Carlo ein. Und bald war auch zu hören, sie wäre kokainsüchtig und hätte vor den Augen von deren Kindern lesbischen Sex
mit Kate Moss gehabt. Groteskerweise wurde sie gebeten, als Aushängeschild für eine Kampagne für alleinerziehende Mütter zu fungieren.
»Lesen Sie die Zeitungen nicht«, warnte Simon sie, »inspirieren Sie
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