Der Flirt
geschüttet.
»Phantasie-Existenz?«
»Es ist, als hättest du eine Rolle gespielt, einen Teil von jeder Diva, die wir je eingekleidet haben. Du isst nicht, du rauchst den ganzen Tag, du arbeitest dich dumm und dämlich und hast diese unpassenden jungen Liebhaber. Ich habe nichts gesagt, weil ich dachte, es würde dir zu sehr zusetzen«, fuhr er fort. »Der letzte Schlag, den das Leben dir erteilt hat, hat dich wohl bis ins Mark getroffen.« Seine Miene war so traurig, dass sie dachte, er würde jeden Augenblick anfangen zu weinen. »Und ich habe Angst um dich gehabt, Emily Ann.«
»Angst?« Wie hatte ihre Art zu leben solche Auswirkungen haben können? »Aber ich verstehe das nicht! Was habe ich denn falsch gemacht?«
»Oh, Engel! Du hast überhaupt nichts falsch gemacht − bitte missversteh mich nicht. Ich habe nicht mehr lange zu leben, also verzeih mir. Aber das hier ist mir wichtig, sehr wichtig. Es ist, als wärst du, seit Michael gestorben ist, in einer Scheinwelt eingefroren, in der das wirkliche Leben dich nicht berühren kann.«
»Warum sagen wir immer, er wäre gestorben?«, fragte sie bitter. »Er hat sich umgebracht!«
»Er war krank.«
»Was heißt das? Krank. Was soll das heißen?« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht; es machte sie wütend, dass sie schon wieder weinte. »Er hat mich verlassen! Aber weißt du, was noch schlimmer ist? Ich habe geglaubt, ich habe wirklich geglaubt, wenn ich jemanden finden würde, den ich liebte und der mich liebte, dann wäre ich in Sicherheit.« Sie wollte lachen, so dumm kam ihr das jetzt vor. »Ich dachte, Liebe würde alles überwinden!«
Doch sie lachte nicht, sie schluchzte. Es war mehr, als sie ertragen konnte: die Erleichterung, dass Leo außer Gefahr war, der Schmerz, dass er so enttäuscht von ihr war.
»Komm her.« Er streckte einen dünnen Arm aus, und sie kuschtelte sich an seine warme Brust. Sein Herz klopfte beruhigend an ihrem Ohr. »Du hast deine Unschuld verloren, das ist alles.« Er streichelte ihr sanft übers Haar. »Das tut höllisch weh, ich weiß. Aber es ist gut. Unschuld ist anziehend bei Kindern, doch sie macht reizbare, enttäuschte Erwachsene.«
Sie schloss die Augen und klammerte sich an ihn.
»Es gibt alles Mögliche, was die Liebe nicht überwinden kann«, fuhr er fort. »Naturkatastrophen, zum Beispiel, und Krankheiten, grausame Schicksalsschläge, selbst die schlichte menschliche Natur übertrumpft die Liebe mit Leichtigkeit. Liebe ist nicht dazu gedacht, immun zu machen gegen das Schicksal, gegen Kummer oder Schmerz. Sie ist vielmehr oft genug der Grund dafür, nicht wahr?«
Sie nickte.
»Aber sie wirft uns mit den allerbesten Absichten mitten ins Leben hinein, gibt uns Mut, Leidenschaft und Hoffnung, macht uns auf wunderbare Weise zu Narren − und treibt uns weiter, als wir normalerweise gehen würden. Die Liebe formt uns, mehr als jede andere Erfahrung, wie wenn große Marmorblöcke zu Kunstwerken gestaltet werden. Das ist, glaube
ich, das, was gemeint ist, wenn man sagt: ›Die Liebe überwindet alles.‹ Sie übertrifft nicht das Leben. Doch sie gibt ihm Integrität, ein edles Ziel, egal, wie das Ergebnis am Ende aussieht.«
Leticia setzte sich auf und schnäuzte sich. »Findest du … findest du mich wunderlich?«
»Ich glaube, du hast einen großen Verlust erlitten, und in deiner Trauer hast du versucht zu kontrollieren, was sich jeglicher Kontrolle entzieht.«
Er sprach in Rätseln.
»Und das wäre?«
»Dein Herz, dein Wesen, der Mensch, der du im Innersten bist. Es ist, als hättest du eine große breite Pappfigur geschaffen, um dich dahinter zu verstecken.«
Seine Worte schnitten ihr mitten ins Herz.
Sie richtete den Blick zu Boden, starrte auf das hässliche blau gesprenkelte Laminat. »Ich hab doch nur versucht … versucht … ich weiß nicht.«
»Sieh mich an«, befahl er ihr.
Sie wollte nicht, doch sie zwang sich, den Blick auf ihn zu richten.
»Du bist für etwas Besseres geschaffen, Emily Ann Fink. Zu etwas sehr viel Besserem als für One-Night-Stands und Schlüpfer. Und ich sag dir noch was: Da ist noch mehr Liebe in dir.«
»Ja, aber welcher Idiot stellt sich an, um noch einmal am Boden zerstört zu werden?«
Leo grinste und hielt die Hand hoch. »Wie sagte Peter Pan: ›Wenn ihr an Elfen glaubt, klatscht in die Hände!‹«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Mach ich nicht. Ich will nicht!«
»Das ist der Lauf der Welt, die Natur der Dinge. Die Liebe völlig zu
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