Der Flirt
eher die Phantasie ansprechen.« Sie nahm
eine kleine silberne Schachtel von ihrem Tisch. »Aber wenn Sie sich in einigen Monaten noch einmal mit mir in Verbindung setzen möchten, hier ist meine Karte.«
Die Frau nahm die Karte, starrte darauf und runzelte die Stirn. Offensichtlich hatte sie etwas gehört, was sie vor ein Rätsel stellte.
Manche Leute sind wirklich unglaublich resolut, dachte Leticia und ging zur Tür, um sie zu öffnen. Nervtötend, aber unvermeidbar.
Die Frau schaute auf. »Wie kommen Sie auf die Idee, das häusliche Leben wäre keine Phantasie?«
»Wie bitte?«
Die Frau atmete tief durch und wuchs mit diesem Atemzug rund fünf Zentimeter.
»Wie kommen Sie darauf, dass es nicht die größte Phantasie überhaupt ist? Sehen Sie, mir ist klar, dass Sie mich abwimmeln wollen. Ich bin Ihnen wahrscheinlich nicht reich oder nicht schick genug. Aber ich verbringe die meiste Zeit im Nachthemd, ob ich will oder nicht. Und ich hätte gern, dass es hübsch aussieht. Eigentlich sogar mehr als hübsch … verdammt phantastisch.«
»Sehen Sie, ich möchte nicht andeuten …«
»Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Haben Sie Kinder?«
Leticia schüttelte den Kopf.
»Dann erzähle ich Ihnen jetzt mal was, was in keiner Zeitschrift, in keinem Roman und keiner Fernsehsendung je zu lesen oder zu sehen ist. Die Liebe zermürbt einen. Wenn wir an die Liebe denken, dann denken wir an Herzen und Blumen und ›fortan glücklich und zufrieden‹, doch im wirklichen Leben bringen die Dinge, die man im Namen der Liebe tun muss, einen schier um. Ich weiß nicht, wie es bei Männern
ist, aber bei Frauen ist es eindeutig so. Am Ende tut man jeden Tag tausend Dinge im Namen der Liebe, die man von keinem Hund verlangen würde. Und man stellt das alles nie in Frage − niemals. Warum sollte man? Es ist Liebe, nicht wahr? Dann überlegt man, warum man keine romantischen Gefühle mehr hat. Warum man, wenn man ehrlich ist, überhaupt nichts mehr empfindet. Ich warte schon seit Ewigkeiten darauf, dass die Dinge sich ändern, schiebe mein Leben auf, bis die Kinder groß sind oder wenigstens nachts durchschlafen oder bis ich meine frühere Figur wiederhabe oder mein Mann mir mehr Beachtung schenkt … Sie können sich gar nicht vorstellen, auf was ich alles warte. Und eigentlich bin ich das gar nicht.« Sie zeigte mit dem Finger auf ihren Körper. »Sehen Sie das? Ich habe die Warterei satt. Und ich werde das beste verdammte Nachthemd tragen, das ich mir leisten kann. Meine Frage ist also die: Werden Sie es mir nähen? Oder« - ihre Augen blitzten - »schreiben Sie mich als eine von vielen dicken Mittelschichtsfrauen mittleren Alters ab, die sich eben irgendwie behelfen müssen?«
Schockiert starrte Leticia die Frau an. Eigentlich müsste sie beleidigt sein. Doch stattdessen bewunderte sie ihre Offenheit. Es war lange her, dass jemand so leidenschaftlich zu ihr gesprochen hatte. Viele Frauen wollten ein Leticia-Vane-Original, doch diese Frau hier brauchte ein Nachthemd. Und es war verdammt lange her, dass Leticia etwas Neues oder wirklich Nützliches entworfen hatte.
»Wie heißen Sie?«
»Amy. Amy Mortimer.«
Leticia nahm einen Notizblock zur Hand und wies auf einen Stuhl. »Möchten Sie sich setzen, Mrs. Mortimer? Und jetzt« - sie wählte einen frischen Bleistift - »müssen Sie mir genau erklären, was Ihre Bedürfnisse sind und wie ich Ihnen helfen kann.«
Seltsam
Rose fühlte sich seltsam. Sie hatte am Nachmittag mit Rory Zug gespielt, Schienen aufgebaut und vor allem Hindernisse aufgetürmt, damit die Loks hineinrasen konnten. Es hatte eine beruhigende Wirkung, immer wieder dasselbe zu machen, wie alle Spiele mit kleinen Kindern. Und doch fühlte sie sich nicht beruhigt. Sie wollte Rory knuddeln, aber er wand sich aus ihren Armen. Alles, was sie wollte, war, ihn festzuhalten, still zu sein und sich warm und sicher zu fühlen. Doch er war fest entschlossen, in der Wohnung herumzurennen und sich im Bett auf die Kissen zu werfen. Sie hatte den falschen Tritt, war nicht im Einklang, nicht einmal mit ihm.
Nach einer Weile holte sie den Buggy heraus.
»Komm, wir gehen spazieren.«
Sie schlenderte in Richtung von Jack’s Café, ohne überhaupt zu wissen, was sie tat. Ein Teil von ihr wollte die Zeit zurückdrehen und zum Altvertrauten zurückkehren. Oder wenigstens in aller Ruhe noch einmal einen Blick darauf werfen.
Sie schob mit Rorys Buggy die Tür auf und wurde von vertrauten Düften begrüßt − dem warmen
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