Der Flirt
machte Kasse, Bert putzte den Fußboden. Draußen wich alle Farbe aus dem Himmel, und kalter, grauer Nebel stieg auf. Straßenlaternen glommen trübe in der Dämmerung.
Sam schüttelte den Kopf. »Und was machen wir jetzt?«
Rory kletterte auf Roses Schoß und machte es sich dort bequem, er hatte genug getobt. Sie streichelte ihm über den Kopf und atmete den warmen, sauberen Duft seiner Haare ein.
»Na, wir machen uns zum Idioten, nehme ich mal an.«
Die Oper
Leticia saß in einem engen schwarzen Jerseykleid mit tiefem Ausschnitt und mehreren Reihen schwarzer Perlen um den Hals an ihrem Küchentisch und hielt die anonyme Karte in der Hand.
Die Vorstellung begann um acht Uhr.
Es war Viertel nach sieben.
Wenn sie gehen wollte, sollte sie jetzt gehen.
Trotzdem saß sie da und drehte die Karte langsam ein ums andere Mal um.
Wo die herkam, gab es noch mehr Liebe.
Toll.
Aber wollte sie mehr?
Als Olivia an diesem Abend zum Opernhaus kam, war es geschlossen. Es gab keine Vorstellung. Sie hatte große Sorgfalt auf ihre Garderobe verwendet und schließlich ein Kleid aus fließender, eisblau-grauer Seide gewählt, das ihre schlanke Gestalt umspülte wie Wasser Schilf. Sie kam sich albern vor, wie sie da vor dem verschlossenen Gebäude stand, mit ihrer silbernen Abendtasche und einer Kaschmirstrickjacke über dem Arm eindeutig für einen festlichen Abend gekleidet. Sie glaubte, die feixenden Blicke der Passanten zu spüren.
Gerade als sie aufgeben und ein Taxi herbeirufen wollte, um nach Hause zu fahren, trat ein Mann in Platzanweiser-Livree auf sie zu.
»Es tut mir leid, dass ich Sie hier habe warten lassen.« Er lächelte. »Hier entlang, bitte.«
Olivia folgte ihm um die Ecke. Die Tür zum ersten Rang war offen.
Er blieb stehen. »Hier hinauf«, sagte er. »Setzen Sie sich, wohin Sie wollen.«
Olivia stieg die Treppe hinauf. Sie war steil. Ihre hohen Absätze hallten auf dem Betonboden wider. Oben verbreiterte sich die Treppe zum ersten Rang. Das Licht war eingeschaltet, der Vorhang war geschlossen, sie war allein. Der junge Mann hatte gesagt, sie solle sich irgendwo hinsetzen, also ging sie vorsichtig den steilen Mittelgang hinunter zu dem Platz in der ersten Reihe. Auf dem Platz neben ihr stand eine kleine Schachtel Godiva-Pralinen. Auf dem Zettel darauf stand: »Genießen Sie die Vorstellung.«
Unmittelbar darauf kamen die Musiker in den Orchestergraben. Sie trugen Straßenkleidung. Es war wohl eine Kostümprobe. Augenblicke später wurde das Licht gedimmt, der Dirigent trat an sein Pult, und die Musik begann. Gewaltige Klangwellen durchströmten das leere Theater.
Der Vorhang hob sich. Sie bekam ihre ganz private Vorstellung!
Sie lehnte sich zurück, öffnete die Schachtel und steckte sich eine Praline in den Mund. Sie war dunkel und schmeckte ein wenig bitter, doch als die äußere Hülle aufbrach, erfüllte die duftende Süße von Vanille und Veilchen ihren Mund. Um sie herum schwoll die Musik an, Stimmen erhoben sich und umgarnten sie in hemmungsloser Leidenschaft.
Olivia verschlug es den Atem, so schön war es, so undurchdringlich war die Dunkelheit um sie herum, so glatt war die Seide auf ihrer nackten Haut. Und doch quälte sie ein Gedanke: Wenn ich doch nur nicht allein wäre.
Plötzlich war sie nicht mehr allein.
Jemand setzte sich leise in die letzte Reihe.
Das musste ihr Verehrer sein!
Sie drehte sich um und versuchte, im Dunkeln etwas zu erkennen.
Leticia kam zu spät.
Sie folgte dem Platzanweiser und stieg die dunkle, schmale Treppe hinauf, während weit unter ihr die Oper bereits in vollem Gange war. La Bohème. Künstler, Dichter, sterbende Näherinnen …
In der ersten Reihe saß jemand, eine blonde Frau. Sie drehte sich um und nickte.
Leticia nickte ebenfalls.
Was war das denn? Zwei zum Preis von einer?
Sie setzte sich in die letzte Reihe. Sie fühlte sich alt, zu vornehm gekleidet und nervös. Sie schob die Schuhe von den Füßen und streckte die Zehen aus. Die Füße taten ihr weh.
Anscheinend lag das in der Natur der Sache, das Partyspiel war in vollem Gange. Eine Karte, eine Verabredung, die Chance, einen geheimnisvollen Fremden kennenzulernen …
Der Tenor setzte zu seiner Arie an.
Und plötzlich wusste Leticia ganz genau, dass sie genug hatte.
Sie wusste nicht, was passieren würde, wenn sie nach Hause ging, das Kleid und die Perlen auszog und die Tür schloss. Vielleicht würde sie anfangen zu weinen, um nie mehr aufzuhören; vielleicht würde sie sich
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