Der Flirt
nie mehr zusammenreißen können, und niemand würde je wieder etwas mit ihr zu tun haben wollen.
Doch ihr reichte es.
Keine Fremden mehr, keine Verfolgung mehr, keine Intrigen. Keine Hinweise mehr, kein Ringen mehr im Dunkeln
mit Bruchstücken der Wahrheit, um die Lücken dazwischen mit Phantasien zu füllen.
Es mochte sein, dass da mehr Liebe war, wo dies herkam, doch unter diesen Bedingungen wollte sie sie nicht mehr.
Tief unter ihr, auf der Bühne, klammerten sich Mimi und Rodolfo verzweifelt aneinander, ihre Stimmen erreichten unwirkliche Höhen von Schönheit und Leidenschaft. Das kann nicht Liebe sein, fand Leticia. Sie sind sich doch eben erst begegnet, sie kennen einander nicht einmal.
Wahre Liebe konnte unmöglich so seicht sein.
Draußen, gegenüber dem Opernhaus, stand, verborgen in einer Türöffnung, Hughie.
Sie war da drin, seine Liebe!
Er überlegte, ob sein Plan funktionierte, ob Leticia entzückt war von der Vorstellung, fasziniert von den klugen Nachrichten, ob sie allmählich unter dem Gewicht seiner Hingabe weich wurde.
Er lehnte am Türrahmen, zündete sich eine Zigarette an und genoss die Qual, von ihr getrennt zu sein und doch so nah. Darum ging es bei der Liebe: um den Schmerz des Begehrens und der Sehnsucht, die unerträgliche Mischung aus Höllenqualen und Hoffnungen, bevor die Geliebte erschien.
Und plötzlich erschien sie.
Die Tür zum ersten Rang schwang nach außen auf, und heraus kam Leticia.
Sie schritt auf ihn zu.
Hughie erstarrte. Was sollte er machen? Sich verstecken? Weglaufen?
Er blieb einfach stehen.
Sie schaute auf.
Einen Augenblick lang sagte sie gar nichts. Dann ein langer Seufzer und ein Kopfschütteln. »Oh, Hughie!«
Die Art, wie sie seinen Namen sagte, verriet ihm, dass die Vorstellung zu Ende war.
»Hey!« Er grinste verlegen. »Übrigens« - rasch drückte er seine Zigarette aus -, »darf ich dir sagen, wie schön du heute Abend bist?«
Sein Kompliment schien nicht zu ihr durchzudringen.
»Oh, Hughie!« Sie seufzte noch einmal, ein schwerer, bleierner Seufzer. »O Gott, Hughie!«
Wie es schien, war nicht nur die Vorstellung zu Ende, sondern das ganze Spiel.
»Es hat dir nicht gefallen?«, fragte er.
Leticia setzte sich auf die Schwelle. Es war schmutzig, staubig, roch nach Special Brew.
Behutsam ließ er sich neben ihr nieder. »Mein Liebling?«
»Scheiße, Hughie!« Sie sah ihn an, ihre braunen Augen blickten traurig. Zum ersten Mal sah sie älter aus, müde, als wäre sie wirklich über dreißig. »Scheiße!«, sagte sie noch einmal und schüttelte den Kopf.
Und dann fing sie zu seinem Entsetzen an zu weinen.
»Scheiße, Hughie! Scheiße!«
Hughie saß neben ihr und streichelte ihr vollkommen ratlos über den Rücken. Er war verängstigt, enttäuscht, verwirrt. Was war passiert? Wieso war es so schrecklich schiefgelaufen? Er hatte doch alles gemacht, was Flick gesagt hatte.
Es war in die Hose gegangen und zwar gründlich.
Zwei Männer torkelten aus dem Pub auf der anderen Straßenseite, lachten zu laut. Er wünschte, sie wären irgendwo allein.
Schwarze Tränen rollten über Leticias Gesicht. »O Gott, Hughie! Was bin ich für ein Arschloch!«
»Nein, nicht doch, auf keinen Fall!«
»Doch.« Sie schaute zu ihm auf, ihre Nase triefte. Er wollte,
dass sie etwas dagegen tat, aber er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte. War eine Geste zu offensichtlich?
In dem Moment nahm sie ein Taschentuch aus ihrer Abendtasche und schnäuzte sich kräftig. Sie stieß ein Trompeten aus, ein gewaltiges Dröhnen, das mit seinem Bild von ihr nicht recht zusammenpassen wollte.
»Scheiße!«, sagte sie noch einmal und schloss die Augen.
Dies schien der Kernpunkt des Gesprächs zu sein.
»Aber was stimmt denn nicht?«
Sie rieb sich mit den Fäusten die Augen, zwei graue Mascara-Flecken auf ihren Wangen.
»Diese … die Nachrichten …« Sie schüttelte den Kopf. »Was hast du nur gemacht?«
Plötzlich kam er sich vor, als wäre er drei Jahre alt. Selbst seine Stimme war ganz klein. »Ich wollte dich dazu bringen, dass du mich liebst.«
Sie seufzte noch einmal, und ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. Sie nahm seine Hand und drückte sie. »Scheiße, Hughie. Scheiße!«
Und diesmal verstand er es; es traf ihn mit voller Wucht wie ein Tritt in die Rippen.
Sie saßen in Covent Garden auf einer schmutzigen Stufe und hielten Händchen.
Es war vorbei.
Endgültig vorbei.
Freiheit
Olivia ging die Treppe hinauf. Es war spät, das Haus
Weitere Kostenlose Bücher