Der Flirt
Sie zu denen gehören, die dem Leben eine Chance geben. Das wird Ihnen noch sehr zustatten kommen.«
»Na toll.« Gereizt trat er gegen ein Stuhlbein.
»Wissen Sie, worin unsere wahre Stärke liegt?«, fuhr sie fort. »Ich meine, als Profis?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wir lieben nicht, Hughie. Das macht es um einiges leichter.«
»Heute nicht«, räumte er ein.
»Nein, heute vielleicht nicht. Doch das gibt sich bald. Und irgendwann kehrt auch die Hoffnung zurück.«
Er wirkte nicht recht überzeugt.
»Ich verspreche es Ihnen«, fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu.
Flicks Lächeln war ansteckend. »Vielen Dank, dass Sie mich nicht zusammengestaucht haben.«
»Sehr gerne.«
»Also« - er seufzte und stand auf -, »wie heißt diese Buchhandlung?«
Flick setzte ihre Lesebrille wieder auf und ging um den Schreibtisch herum. »Hollywood Hill«, sagte sie, schrieb es auf einen Zettel und reichte ihm diesen. »Sie haben auf meinen Namen eine Erstausgabe von Pablo Neruda zurückgelegt. Oh, und Hughie?«
»Ja?«
Sie warf ihm einen Blick zu. »Kaufen Sie sich ein Rasiermesser. Schließlich sind Sie jetzt ein Profi.«
Perspektive
Rose stieg die Stufen zur National Gallery am Trafalgar Square hinauf. Allein die Größe des Gebäudes schüchterte sie ein. Doch Olivia hatte darauf bestanden, hier müsse sie anfangen. Es war schockierend, wie viel hier los war, überall Kinder, junge Leute, Touristen. Amüsierten die sich wirklich alle?
Olivia wartete im Hauptfoyer. Als sie Rose erspähte, winkte sie eifrig.
»Sind Sie aufgeregt?«, fragte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ja, also …« Damals war es ihr wie eine gute Idee vorgekommen, Olivia zu bitten, ihr etwas über Kunst beizubringen. Doch jetzt war ihre Angst größer als ihre Begeisterung.
Zum Glück besaß Olivia davon genug für beide. Sie hakte sich bei Rose unter und drückte ihren Arm. »Also, wollen wir?«
Zusammen gingen sie die prächtige Marmortreppe hinauf. Darum ging es bei der Kunst: riesige, imposante Gebäude, vollgehängt mit gewaltigen Gemälden von Frauen in weißen Perücken, die hochmütig aus vergoldeten Rahmen blickten.
Das war die Kunst, die Rose vertraut war. Sie wusste, dass sie so etwas nicht konnte. Noch bevor sie das obere Ende der Treppe erreichten, hätte sie sich am liebsten umgedreht und wäre nach Hause gelaufen. Doch Verzweiflung und gutes Benehmen zwangen sie dazu weiterzugehen.
»Ich finde es ausgezeichnet, dass Sie Ihren Horizont erweitern!« Olivia wich einer deutschen Schulklasse aus.
»Also, ich würde sagen, es geht eher um die Grundlagen.«
»Ich muss sagen, dieses Museum ist inzwischen einer meiner liebsten Orte in der ganzen Welt!«
Das kann ich mir vorstellen, dachte Rose. Wahrscheinlich war Olivia sogar eine direkte Nachfahrin jener Frauen mit den weißen Perücken.
»Fangen wir mit Spätgotik, Frührenaissance an.«
»Klar. Toll.« Dies war eine ganz neue Sprache, die ihr den Weg versperrte. Schon war sie zu Fall gebracht.
Sie bogen in einen Seitenflügel.
Rose blieb stehen.
Das war ganz und gar nicht das, was sie erwartete hatte.
Wände über Wände voller intensiv farbiger, mit Blattgold gerahmter Leinwände − klare, kraftvolle Farben mit der Leuchtkraft von Edelsteinen. Dies waren die Farben, die sie als Kind so geliebt hatte − Karmesinrot, Scharlachrot, Saphirblau, helles Smaragdgrün … Farben, aus denen man, wie sie angenommen hatte, herauswachsen würde. Doch hier waren sie, säumten prachtvoll und unerschrocken die Wände der National Gallery.
Und auch die Figuren waren bemerkenswert. Sie waren lebendig, zuweilen sogar komisch. Es war überhaupt keine protzige Zurschaustellung von Perfektion, sondern etwas sehr viel Unwiderstehlicheres.
Olivia blieb vor einem Gemälde von Duccio di Buoninsegna stehen, das die Auferstehung des Lazarus darstellte. »Das ist ein wunderbares Beispiel sowohl für die Stärken als auch für die Probleme der Gemälde aus der Frührenaissance.« Sie winkte Rose näher. »Schauen Sie mal.«
In der einen Ecke des Bilds war Lazarus tot, dann kam Jesus, dann erweckte er ihn wieder zum Leben, und alle jubelten.
Rose war erleichtert. Wenigstens kannte sie die Geschichte.
»Diese Gemälde besitzen eine starke erzählerische Qualität, die von ihrem Wesen her durch und durch religiös ist. Vergessen Sie nicht, die meisten Menschen sind Kunst damals allenfalls in der Kirche begegnet. Und natürlich konnte niemand lesen. Also waren diese
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