Der Flirt
winzig?«
»Die Nadeln, Mann. Sie sind ein Alptraum.«
»Und diese kleinen Tänzerinnen!«
»Ja, ja! Sieh dir zum Beispiel die da an« - er beugte sich vor -, »sie setzt gerade zum Sprung an, dann springt sie, und hier ist sie gelandet.«
»Unglaublich!«
»Ella ist ganz wild auf Ballett.«
»Und das hast du ganz allein gemacht?«
»Ja. Der Entwurf ist auch von mir. Ich mache das schon seit Jahren. Als Model muss man sich hinter den Kulissen oder auf dem Set sehr oft die Zeit vertreiben − Make-up, Haare, was auch immer. Manche lösen Kreuzworträtsel oder sitzen quasi auf dem Telefon. Essen kann man nicht, richtig? Und die Models sind sechzehn, siebzehn Jahre alt, es gibt so gut wie keine gemeinsamen Gesprächsthemen. Eines Tages bin ich auf eine Visagistin gestoßen, die hat gerade an einem Schal gearbeitet, und ich dachte: Hey, das kann ich bestimmt auch. Also hab ich mir von ihr zeigen lassen, wie’s
geht. Und jetzt bin ich süchtig danach. Ich meine, man hat am Ende was, weißt du? Es ist greifbar. Es hält.«
»Absolut. Jez, ich bin beeindruckt!«
»Gefällt es dir? Hier.« Er holte eine dicke schwarze Mappe heraus. »Sieh dir die an! Ich überlege, ob ich eine eigene Marke auf den Markt bringen soll.«
Hughie blätterte eine Seite nach der anderen mit Jez’ wagemutigen Entwürfen durch. Vieles davon hatte er an Ella fotografiert, die offensichtlich das Talent ihrer Eltern geerbt hatte, sich in Pose zu werfen.
»Mein Gott! Dir muss man bloß ein bisschen Wolle in die Hand drücken, und du schaffst wahre Wunderwerke!« Hughie gab Jez die Mappe zurück. »Kommt mir aber ein bisschen heftig vor, dass Heidi euch deswegen verlassen hat.«
»Manche Menschen müssen immer im Mittelpunkt stehen. Bei schönen Frauen ist das oft so. Sie sind es gewohnt, dass man sie anschaut, und wenn man es nicht tut, haben sie schnell das Gefühl, sie existierten nicht.« Er lächelte Hughie traurig an. »Wenn es nicht das Stricken gewesen wäre, wäre es etwas anderes gewesen.«
Hughie hätte darauf gern etwas Tiefschürfendes gesagt.
Doch es fiel ihm nichts ein.
»Nachdem sie weg war, habe ich das Modeln nicht mehr ertragen. Und ich wollte Ella nicht allein lassen. Eines Tages hat Valentine mich entdeckt, als ich an der Bushaltestelle gewartet habe. Diese Arbeit passt gut zu mir.« Jez rieb sich die Augen. »Sie hält mich auf jeden Fall auf Trab. Ich meine, noch eine Beziehung würde ich nicht überleben. Diese Gefühle, Mann!«
Der Verkäufer brachte ihre Einkäufe. Jez streckte seine langen Beine aus und stand auf.
»Komm, Junge.« Er klopfte Hughie auf den Rücken. »Ich wollte dich nicht runterziehen. Ich habe meine Ella. Das ist
das Einzige, was zählt. Und jetzt brauchst du einen Haarschnitt. Und dann geht’s weiter zu Nick’s Smell Shop, um einen Duft auszusuchen.«
»Nick’s was?«
»Smell Shop. Jetzt werd nicht zickig! Nick die Nase ist der Beste im Geschäft. Du wirst sehen.«
Auf dem Weg zu Trumper’s, wo er die Haare geschnitten bekommen sollte, schaute Hughie Jez von der Seite an.
Er hatte das Profil eines Adonis, den Körper eines Athleten und das Hobby einer siebenundachtzigjährigen Frau.
Die Ampel sprang auf Grün. Jez ging weiter.
Aber, heiliger Strohsack, der Mann konnte stricken!
Nick die Nase
Nick die Nase führte in der Islington Passage einen Blumenladen. Sein richtiger Name lautete Nicolai Verbronsky, und er stammte aus Warschau, Polen, war Anfang sechzig und maß einen Meter achtundsechzig. Er hatte eine Schwäche für den klassischen modischen Jogginganzug, in dem er in seinem kleinen Laden herumraschelte wie eine Plastikeinkaufstüte, die vom Wind erwischt wurde. In dem silbrig grünen Ensemble, das er an diesem Tag trug, sah er mit seinem roten Haarschopf aus wie die ältere, böse Nemesis eines zweitrangigen Comic-Helden. Und, getreu Jez’ Wort, hing ein Schild über dem Laden, auf dem »Nick’s Smell Shop« stand.
Nick verkaufte nur Blumen mit Duft. Berge von Rosen, Eimer voller Fresien, Körbe vollgestopft mit Hyazinthen, Tuberosen, Verbenen und Lavendel; zarte Kamelien und Veilchen wurden in der kühlen Dunkelheit im hinteren Teil des Ladens verwahrt; der Duft war schier überwältigend.
»Es ist ein Duftladen!«, schwärmte Nick, als Hughie und Jez kamen. »Was auch immer Sie wünschen, ich habe es! Solange es gut duftet!«
Hughie schaute sich um. »Meine Mutter mag Lilien.«
»Lilien!« Nick spuckte auf den Boden. »Ich hasse Lilien! Alles, außer Lilien! Sie
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