Der Flirt
wahrscheinlich noch ein Junge.
Meine Hormone spielen verrückt, sagte sie sich. Das ist ganz normal. Das sind nur eimerweise Hormone, die durch meine Adern jagen. Reiß dich zusammen.
Erschöpfung zerrte an ihr. Sie hätte sich am liebsten hingelegt, doch das allein würde eine halbe Stunde dauern; Kissen unter den Bauch und zwischen die Beine, etwas, um das sie die Arme schlingen konnte … sie hatte seit Jahren nicht geschlafen. Warum wollte sie gerade jetzt damit anfangen?
Sie zwang sich wieder auf die Füße und sah sich um.
Die Fenster müssten unbedingt geputzt werden. Sie erinnerte sich vage daran, dass sie das auch schon bei der letzten Schwangerschaft gedacht hatte. Damals war nichts unternommen worden, und jetzt würde es wahrscheinlich nicht anders laufen.
Sie öffnete Jonathans Kleiderschrank und wählte eines seiner besten maßgeschneiderten Hemden aus. Gott sei Dank hatte er einen Wanst. Dann hob sie ihre zerknitterte Schwangerschaftsjeans mit dem elastischen Einsatz vom Boden auf und zwängte sich mühselig hinein. Irgendwo mussten doch ihre Schuhe sein … warte, was war das? Ein Paar orangefarbener Strand-Flip-Flops? Perfekt. Da brauchte sie sich wenigstens nicht zu bücken.
Als Nächstes nahm sie einen kleinen Notizblock zur Hand, der immer auf ihrem Nachttisch lag, und schlug eine Liste nach, die sie in der vergangenen Nacht aufgestellt hatte.
Amy liebte es, Listen anzulegen. In ihrer Blütezeit als Eventmanagerin war sie durch sie hindurchgepflügt und hatte sie Punkt für Punkt mit bemerkenswerter Geschwindigkeit abgehakt. Selbst als kleines Mädchen war ihre Welt sauber und aufgeräumt gewesen, und deren Parameter waren anhand von Listen mit erledigten Aufgaben verordnet. Sie war stolz darauf, dass sie Dinge erledigte, sich den Aufgaben des Alltags entschlossen stellte und triumphierend daraus hervorging. Doch in letzter Zeit verschafften ihre Listen ihr nicht mehr dieselbe Befriedigung. Statt kürzer zu werden, wurden sie immer länger. Und ihr Inhalt überwältigte sie schier.
Diese Liste begann ziemlich vielversprechend: » Schuhe für Angus, allen Jungen die Haare schneiden lassen, Dylans Zahnarzttermin, Wasserfilter, neue Still-BHs, Nachthemden und Unterhosen … « Doch dann kam: »Gartenbaufirma anrufen und nach Plage durch große, schwarze Käfer fragen (mögliche Gesundheitsrisiken für kleine Kinder, die Blumenerde essen)«, gefolgt von: »Arzt fragen, ob es einen Zusammenhang zwischen ADS und Fischstäbchen gibt, den Sand vom Sofa unten saugen, extragroße Gummiunterlagen für Felix und Angus bestellen, beim neuen Nachbarn wegen des Krachs, des fliegenden Drecks und dafür entschuldigen, dass Dylan den Jägerzaun umgerissen hat, WÄSCHE WASCHEN, WÄSCHE WASCHEN, WÄSCHE WASCHEN !, die Jungen sollen ihre Zimmer aufräumen [machte sie sich da nicht etwas vor?] und ihre nassen Badehosen nicht unters Bett schieben!!!«
Und unten auf die Seite hatte sie, kurz bevor sie zu Bett gegangen war, geschrieben: »Unbedingt in die aktuelle Ausstellung in der Royal Academy gehen.«
Die Royal Academy?
Sie beugte sich vor und fischte ihre Lesebrille vom Nachttisch.
»Unbedingt in die aktuelle Ausstellung in der Royal Academy gehen.«
Es sah nicht einmal nach ihrer eigenen Handschrift aus.
Die Formulierung war so unverfroren hinsichtlich der Realitäten ihres Alltags, dass sie ihr leicht psychotisch vorkam. Sie hörte sich nach den albernen Versprechen an, die sie ihren alleinstehenden Freundinnen manchmal gab: »O ja! Wir müssen uns unbedingt die aktuelle Ausstellung in der Royal Academy anschauen! Soll ich dich nächste Woche anrufen?« Natürlich wussten alle, dass sie sich etwas vormachte. Doch hier stand es, sprang ihr entgegen, vollkommen unabhängig von gesellschaftlichen Strategien, der seltsame, verzweifelte Wunsch, an einem kulturellen Ereignis teilzunehmen.
Sie setzte sich wieder auf die Bettkante und betrachtete den Zettel in ihrer Hand. Diese Ausstellung war das Einzige auf der Liste, das auch nur annähernd verlockend klang.
Und einen Augenblick lang stellte sie sich vor, wie sie in etwas anderem gekleidet als Schwangerschaftsjeans und orangefarbene Flip-Flops langsam durch die prächtigen Räume ging.
Ihr Atem beruhigte sich.
Das Baby hörte auf zu treten.
Sie hatte den Katalog in den Händen, das befriedigende Gewicht von dickem Hochglanzpapier und jahrelanger Gelehrsamkeit. Der Geruch nach Holzfußböden und gepolsterten Lederbänken hüllte sie ein, und um sie
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