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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Jaeckel
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selbst jedoch lag wach und dachte über das nach, was er gesagt hatte.
    »Bevor man dem eigenen Tod entgegenzieht, sollte man …«
    Es gab wohl vieles, was man dann sollte, vermutete sie. Zum Beispiel dem Mann, den man liebte, die Wahrheit sagen.
    Geheimnisse loswerden. Alten Geistern entgegentreten.
So vieles bliebe ungesagt, wenn sie morgen stürbe.
    In der letzten Nacht hatte sie erneut von Dago geträumt. Talia hatte Caran niemals gefragt, was mit Dagos Leichnam geschehen war, nachdem sie ihn getötet und Dagos Krieger in die Flucht geschlagen hatte. In ihrem Traum jedenfalls war die Leiche plötzlich verschwunden, lediglich ein verblassender Schatten auf dem von Laub gesprenkeltem Boden vor den Toren von Alte-Stadt. Sie hatte im Traum mit den Schultern gezuckt, angenommen, einer von Dagos boischen Gefolgsleuten wäre zurückgekehrt, um den Körper seines Königs zu bergen. Aber sowie Talia sich umdrehte, um zu ihrem Kind zurückzugehen, zu Atharic und ihrer Familie, hatte Dago plötzlich vor ihr gestanden – so jung, wie er gewesen war, als sie ihn kennengelernt hatte: dunkle Haare, ebenmäßige Gesichtszüge von einem viel dunkleren Ton als ihre eigenen, dazu grasgrüne Augen, in denen sich sein spöttischer Triumph spiegelte.
    »Deine Tochter ist meine Tochter«, hatte er mit einem Grinsen, das seine weißen Zähne blitzen ließ, gesagt, »mein Blut ihr Blut. Wir sind verbunden, Talia. Auf ewig. Als ob ich dich immer und immer wieder nehmen würde. Fühlst du es nicht auch?«
    Seine Hand hatte sich nach ihr ausgestreckt, die Traumszene sich verändert: Talia hatte sich auf dem Boden vorgefunden, im Stallgebäude von Carans Gehöft, mit Dagos Gewicht auf ihrem Körper. Dasselbe Bild wie damals in jener Nacht: Sie hatte gekämpft – vergebens. Das Gesicht noch nass von Tränen, die sie für einen anderen geweint hatte, ihr Kleid zerrissen, die Schultern aufgeschürft. Dagos quetschende Hände um ihre Kehle und auf ihren Brüsten. Seine Erektion ein Schwert, das sie tief im Inneren verletzte, Blut und Samen versprühte, doch womöglich war dies auch ein und dasselbe.
    »Ich werde wiederkommen!«, hatte der Traum-Dago gelacht. »Du wirst sehen. Du wirst mich erkennen!«
    Schweißgebadet war Talia aufgewacht. Sie hatte sich aus ihren Decken gestohlen und war trotz des Stechens in ihrem Knöchel in der Dunkelheit bis zum Fluss gehumpelt. Sie hatte sich gewaschen, mit den kalten Wassern der Berge, hatte die Geister und Götter des Flusses beschworen, damit sie allen Schmutz ihrer Erinnerungen von ihr wuschen. Aber das Wasser berührte nur Talias Haut, nicht ihr Inneres, obwohl sie sich mit gespreizten Beinen hatte hineinsinken lassen, um alles herauszuspülen, was jemals die weichen Wände zerfetzt hatte.
    Heilung. Wie viele Jahre des Glücks waren nötig?
    Würde Atharic es verstehen? Würde er verstehen, weshalb weder Dagos Tod durch ihre eigene Hand noch Atharics Liebe ausgereicht hatten, um die Erinnerung zu verbannen? Weshalb Talia es nicht noch einmal durchleben wollte, und sei es auch nur in einer Erzählung? Weshalb sie nicht zulassen konnte, dass Dago ein Teil ihrer Familie wurde – selbst wenn sie die Einzige sein mochte, die das am Ende so sah?
    Die Wahrheit. Eine Kleinigkeit, ein Detail, unwichtig im Grunde. Die jedoch über die Jahre hinweg zu einem Verrat gewachsen war, weil sie unausgesprochen blieb.
    »Ich werde wiederkommen!«, hatte der Dago in Talias Traum gedroht. Aber was war, wenn sie ihn rief, ihn auf ihr eigenes Geheiß hin in ihr Leben ließ? Würde sie dann Macht über ihn haben?
    Wenn du nicht willst, dass ein Feuer dein Haus verschlingt, dann ziehe einen Graben aus Flammen darum.
    »Bevor man dem Tod entgegenzieht, sollte man …« Talia flüsterte die Worte wie ein Gebet vor sich hin.
    Atharic an ihrer Seite grunzte etwas Unverständliches, drehte sich um und zog sie an sich. »Was murmelst du da?«, fragte er.
    Einen Moment lang Stille. Doch der Augenblick verstrich in einem zu lange angehaltenen Atem – wie unzählige vor ihm.
    »Nichts.« Talia vergrub ihr Gesicht an Atharics Brust. »Gar nichts.«
    Nando weckte Sumelis im ersten Morgengrauen. Es war ein mühsames Erwachen, trotz des drängenden Rüttelns an ihrer Schulter und der Anspannung in seiner Stimme dicht neben ihrem Ohr, und sie wehrte sich noch einen Moment länger, wollte in der Sicherheit des Schlafs verweilen, die Angst, die mit dem Wachsein kommen würde, aussperren. Kurz darauf drangen Nandos geflüsterte

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