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Der Fluch der falschen Frage

Der Fluch der falschen Frage

Titel: Der Fluch der falschen Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lemony Snicket
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der Bibliotheksfenster«, sagte Theodora. » Da endet schließlich die Trosse.«
    » Mrs Sallis sagte, die Fenster wären immer verriegelt«, erinnerte ich sie.
    » Jetzt sind sie’s ja auch nicht«, sagte Theodora. » Schau, der Butler gibt uns das Signal, dass die Luft rein ist.«
    Und richtig, am Ende der Trosse sah ich das offene Fenster als undeutlichen dunklen Fleck und in der Mitte dieses Flecks ein schwaches Licht. Hydrophobie? Nein, Snicket. Das ist Wasserscheu. Das Licht sah nicht aus wie eine Kerzenflamme, es flackerte nicht, und es war hellrot. Das hellrote Licht erinnerte mich an etwas, aber auch das bekam ich nicht recht zu fassen. Agoraphobie, dachte ich. Nein, Snicket. Das ist Angst vor freien Plätzen.
    » Gleich sind wir da«, sagte Theodora. » In ein paar Minuten wird die Bordunbestie ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben, und der Fall ist abgeschlo ss en.«
    Ich antwortete nicht, denn mir war schlagartig zweierlei klar geworden: Das Licht kam von der roten Taschenlampe, die die Wachtmeister Mitchum auf ihr Autodach geklebt hatten. Und Höhenangst war Akrophobie. Ich ließ die Trosse los und landete in den Bäumen.

Siebtes Kapitel
    Pechschwarze Finsternis umschloss mich, und ich h atte das Gefühl, als hätte sich ein riesiger Schatten über mich gelegt. Ich wusste, wie es ging, es war ja Teil meines Trainings gewesen, aber das heißt nicht, dass es nicht schwierig oder unheimlich war, so zu fallen. Es war schwierig. Und unheimlich war es auch. Der Sturz war schnell und dunkel. Ich landete mit dem Rücken in dem Baum, und viele aufgebrachte Blätter und Zweige stachen mich. Das Gefühl blieb. Ich entspannte mich, wie ich es in den Übungen gelernt hatte, ich ließ mich von dem Baum tragen, aber den riesigen Schatten spürte ich trotzdem noch. Er kam nicht von der Trosse oder einem der umstehenden Bäume. Er kam von dem Gesicht, das neben mir aufgetaucht war, dem Gesicht eines Mädchens etwa in meinem Alter. Ich sah auch die Hände des Mädchens. Sie lagen um die Enden einer Leiter, die sie an den Baum gelehnt haben musste. Und schon jetzt, während sie von der obersten Sprosse auf mich herabblinzelte, sagte mir etwas, dass der Schatten, den dieses Mädchen warf, auf mein ganzes Leben abfärben würde.
    » Alle Achtung«, sagte sie. » Wo hast du gelernt, so in einen Baum zu fallen?«
    » Ich habe eine unorthodoxe Erziehung genossen«, sagte ich.
    » Und hast du auch gelernt, wie du vom Baum herunterkommst?«
    » Ich dachte, ich warte auf jemanden mit einer Leiter.«
    » Jemanden?«, wiederholte sie. » Wen genau?«
    » Schwer zu sagen«, sagte ich. » Ich weiß ihren Namen nicht.«
    » Tag«, sagte sie, » ich bin Ellington Feint«, und ich setzte mich auf, um bessere Sicht auf sie zu haben. Trotz der Dunkelheit konnte ich ihre seltsam geschwungenen Augenbrauen sehen, die sich hochbogen wie Fragezeichen. Die Augen darunter grün. Haare so schwarz, dass die Nacht dagegen fahl schien. Ihre sehr langen Finger mit Nägeln von demselben tiefen Schwarz schauten aus einem schwarzen Hemd mit langen glatten Ärmeln hervor. Und in dem Moment, als sie sich an den Abstieg machte, sah ich sie lächeln, schattenhaft im Mondlicht. Es war ein Lächeln, das alles hätte bedeuten können. Sie war ein Stück älter als ich oder vielleicht auch nur ein Stück größer. Ich folgte ihr hinunter.
    Auf dem Boden angekommen musterte Ellington Feint mich prüfend und zupfte mir ein paar Blätter vom Kragen, bevor sie mir die Hand hinstreckte. Die Statue drückte mir gegen das Brustbein, und meine Handflächen brannten von der Trosse. Von Theodora war nichts mehr zu sehen. Möglicherweise war ihr nicht einmal aufgefallen, dass ich weg war. » Du has t m ir noch nicht gesagt, wie du heißt«, sagte Ellington .
    Ich nahm die Hand und sagte es ihr.
    » Lemony Snicket, aha«, wiederholte sie. » Dann komm mit, Junker Snicket. Ich wohne in dem weißen Häuschen, an dem du vorhin vorbeigeturnt bist. Da kannst du dich von deinem Höhenflug erholen.«
    Sie führte mich durch die Bäume zu dem Häuschen, das ich schon von der Straße und der Trosse aus bemerkt hatte. Eigenartigerweise wirkte es aus der Nähe noch kleiner mit ein paar Fenstern hier und dort und einer Tür, die aussah, als müsste sie knarzen , und einem weißen Ziegelschornstein, der grauen Rauch in die Nacht hinausblies. Auf einem schmalen Mauerbogen über der Tür stand in ausgeblichenen Buchstaben Weisswimpelhöhe . » Angeblich hat hier früher eine

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