Der Fluch der Halblinge
das schaffen?«
»Ich habe es bis hierher geschafft. Vielleicht hast du einen Feuerstein? Dann könnte ich eine Fackel entzünden und …«
»Ja, bist du denn vollends dem Wahnsinn anheim gefallen?«, schrie der Covkobe, um dann ruhiger in spöttischem Ton fortzufahren. »Hat die Finsternis hier unten dir das Gehirn vernebelt? Was glaubst du wohl, wie der Myr … der Kerl auf dein Leuchtfeuer reagieren wird?«
Godas raufte sich die Haare. Cady, deren Augen sich inzwischen an den Hauch von Licht gewöhnt hatten, das seine Augen verströmten, konnte erkennen, dass er ein dunkles Hemd, eine Latzhose und klobige Stiefel trug. Er besaß lange dünne Gliedmaßen und war überall behaart, auch im Gesicht. Auf dem Hinterkopf saß eine Zipfelmütze, die er jetzt verzweifelt hin- und herschob. »Du bist verrückt«, stellte er fest. »Ich sollte dich einfach ziehen lassen.«
»Ja, es ist besser, wenn du dich hier versteckst. Wenn du nichts mehr hörst, kannst du ja irgendwann nachfolgen.«
»Hör endlich auf!« Godas rieb sich mit langen dünnen Fingern über das flachnasige Gesicht. »Genau deswegen hab ich keine Frau. Denkst du, ich merke nicht, welches Spiel du mit mir treibst?«
Cady zuckte die Achseln. »Ich meine es ernst. Du kannst schließlich machen, was du willst.« Sie hielt die Hände hoch. »Siehst du? Ich kann dich nicht festhalten.«
Godas beobachtete sie lauernd. »Und was hast du vor, wenn du erst mal draußen bist?«
»Ich werde mich zum Haus meines Meisters durchschlagen, irgendwie werde ich es schon finden.«
»Aber selbstverständlich. Geh einfach zur nächsten Elbenwache und frag nach dem Weg, die bringen dich bestimmt direkt … ins Verlies! «
»Godas. Du hast es selbst gesagt, die Lage ist sehr ernst. Ich muss versuchen, mein Volk zu befreien. Die Àrdbéana muss geheilt werden. Ich kann das nicht alles allein schaffen, also muss ich zu Meister Ian Wispermund und …«
»Der ist dein Herr?«, unterbrach Godas. »Na, den kenn ich doch! Der ist ja oft genug bei Hofe, und ich oft genug unten drunter. Ich weiß, wo dein Meister wohnt. Hab ihm mal was angedr … na, egal. Ich bringe dich zu einem Ausgang, von dem aus es nicht mehr weit zu seinem Haus ist. Ich beschreibe dir den Weg. O nein! « Er unterbrach sich, raufte sich erneut die Haare und schob die Zipfelmütze umher. »Was habe ich da gerade gesagt? Weib, was machst du mit mir? Das ist doch nicht normal! Verfügst du etwa über Hexenkräfte?«
»Kein bisschen«, antwortete Cady. »Aber wenn du mir hilfst, verspreche ich dir, dass mein Meister dich eines Tages entlohnen wird für deine Hilfe.« Sie sagte ihm lieber nicht, dass sie gar nicht Meister Ian gehörte, sondern dem Bruder seiner verstorbenen Frau; das würde alles nur verkomplizieren.
»Ach ja?« Godas’ Augen leuchteten auf. Dann sank er in sich zusammen. »Schöne Worte, wie ein Trauergesang, weil wir sowieso gleich sterben werden.«
»Werden wir nicht«, sagte Cady, und es klang wie ein Versprechen. »Vertrau mir.«
Godas nahm Cady an der Hand und ging mit fast geschlossenen Lidern voraus. Er besaß hervorragende Instinkte, um sich in der Finsternis zurechtzufinden, seine Augen waren dazu nicht unbedingt notwendig. Erst, wenn er etwas Wertvolles aufgestöbert hätte, würde er sie zur Überprüfung vollends öffnen – für den Weg jedoch benötigte er sie nicht. Und das war gut so, denn der Myrkalfr würde jeden noch so schwachen Funken sofort entdecken.
Hinzu kam, dass der Kobold dieses Leben schon seit einigen Jahren führte und sich einigermaßen in dem Labyrinth auskannte. Seine Neugier hatte ihn immer wieder hierher in die Finsternis getrieben, ob es nicht vielleicht doch irgendwo einen verborgenen Schatz gab. Zum Verlies war er allerdings nie gelangt, der aus dem Gang strömende Gestank war für seine feine Nase Anlass genug, möglichst viel Abstand zu suchen.
Cady versuchte erst, aufzupassen und Markierungen anzubringen (es war jetzt auch schon egal), aber das ließ Godas nicht zu (der das völlig anders sah und ganz und gar nicht egal fand). Er hatte es vor allem sehr eilig. Cady dachte bei sich, dass sie schon irgendwie zurückfinden würde, um ihre Gefährten aus dem Verlies hier hindurchzuführen. Insofern der Myrkalfr bis dahin verschwunden war … und nicht noch mehr gekommen waren … weil ihre Markierungen sie angelockt hatten.
Nein, Unsinn. Die Myrkalfr waren Geschöpfe der Dunkelheit. Falls sie die Markierungen überhaupt bemerkten, würden sie sich
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