Der Fluch der Halblinge
einsame Höfe. Ich denke nicht, dass wir jemandem begegnen werden. Erst einen Tagesritt weiter östlich und natürlich Richtung Westen gibt es Märkte und Dörfer und Burgherren, die sich manchmal Graf oder Baron oder auch König nennen. Auf dieser Route, so unmittelbar an das Ogerland grenzend, hat sich keine Siedlung halten können.«
»Keine menschliche«, korrigierte Morcant. »Hier leben ein paar Elbensippen, schon seit langer Zeit. Aber wir werden ihnen nicht begegnen.«
Sie kamen gut voran, und der Tag verging schnell, bis Tuagh auf einer Kuppe anhielt und vor sich deutete. »Da könnt ihr es schon sehen.«
Fionn lief ein Schauer den Rücken hinunter. Gen Horizont verdüsterte sich deutlich der Himmel, und er sah ein dickes Band aus Dunst, Nebel und Wolken, in verschiedenen Grauschattierungen. Genau wie im Sumpf auch lag es wie eine schwere Decke über einem fahlgelben, bleichen Streifen Land.
»Verändert sich der Himmel dort je?«, fragte er bang.
»Wenn es ein Unwetter gibt«, antwortete Morcant. »Doch die Sonne kommt niemals hindurch, die Wolken lösen sich nicht auf; sie bilden nicht einmal Lücken. Das ist Teil des Fluches, wie eine Warnung, nicht weiter zu gehen. Das Land selbst gibt sich so unwirtlich wie nur möglich.«
»Dann kann Blaufrost sich ungehindert am Tag bewegen?«
»Bei dem ewigen Dämmerlicht dort, ja. Es wird nie richtig hell.«
Sie ritten durch das stille Land. Ab und zu wagte ein Vogel ein leises Piep , und Fionn sah ein paar dahinziehende Wildpferde und dösende Auerochsen. Wenn es grünte, war es bestimmt sehr idyllisch. Viele Tiere, die man sonst im Umkreis von Städten nicht mehr vorfand, fanden hier ein geschütztes Reich. Es war leicht zu glauben, dass auch Elben an so einem Ort lebten.
Màr gesellte sich zu ihm. »Hättest du gedacht, dass eine Reise langweilig sein kann?«
»Nach dem Abenteuer gestern bin ich offengestanden sehr dankbar dafür«, antwortete Fionn. »Von mir aus könnte es immer so weitergehen: Wir reiten dorthin, wo das Buch ist, holen es und reiten wieder zurück. Und dann bringen wir es der Àrdbéana, und alles wird gut.«
»Ja, das wäre schön.«
»Wart ihr schon viel unterwegs, Màni und du?«
»Zumeist in Elbenreichen. Als Söldner haben wir uns noch nicht oft verdingt. Die Menschen trauen uns nicht so recht.« Sie lächelte.
»Es muss doch sehr einsam sein, immer nur unterwegs zu sein und praktisch auf der Straße zu leben«, meinte er.
»Ja, die wenigsten haben jemanden, der auf sie wartet«, gab Màr zu. »Doch viele von uns schätzen gerade diese Freiheit und Unabhängigkeit.« Dann zögerte sie. »Gibt es … jemanden in deinem Leben?«
Fionn nickte. Unwillkürlich machte sein Herz einen Satz. »Ja. Cady. An meinem Geburtstag, da … äh … haben wir uns … äh … ge … geküsst. Zum ersten Mal. Wir sind zusammen aufgewachsen, und eigentlich war sie wie meine Schwester. Aber dann … irgendwann … nicht mehr«, sprudelte es aus ihm hervor. Es war ihm peinlich, so offen zu sein, aber er hatte sonst niemanden, mit dem er darüber reden konnte. Es musste einmal aus ihm heraus. »Und ihr, glaube ich, geht es auch so. Ich meine, dass sie mich jetzt … anders sieht. Ich möchte sie unbedingt befreien.«
»Das ist schön«, sagte Màr leise. »Darum beneide ich dich.«
»Oh, aber, für dich gibt es doch sicher auch jemanden«, stotterte er. »Du bist schön und klug, und du hast eine wundervolle Stimme.«
Sie seufzte. Der Wind strich durch ihre feinen schneeweißen, schwarz gesträhnten Haare. Ihre efeufarbenen Augen wurden von einer Wolke überschattet. »Bei Elben ist das nicht so einfach, Fionn. Wir sind unsterblich. Irgendwann verlieren wir unsere Leidenschaft, unsere Illusionen. Wir lieben selten, und Familien gründen wir noch seltener. Ich reite nun schon so lange mit der Fiandur, und ich … sehe und erlebe eure unersättliche Neugier, eure stürmische Begeisterung. Vor allem bei den Menschen, aber auch bei euch Bogins, und selbst bei den Zwergen wie Valnir … gerade bei ihr.«
Fionn keuchte auf. »Du weißt es?«
»Wir alle wissen es, Freund. Elben wittern es gewissermaßen, sie können nicht durch Äußerlichkeiten getäuscht werden. Und Tuagh … ihm kann man sowieso nichts vormachen. Aber verrate es ihr nicht. Sie ist sehr stolz, und sie ist ein großartiger, verlässlicher Kamerad. Und eine der besten Kämpferinnen, die ich kenne.« Màr strich durch die Mähne ihres Pferdes. »Ich weiß nicht, ob Elben das tun
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