Der Fluch der Halblinge
gemeint – er oder Tiw?
»Ein Bogin, Herr? Ausgeschlossen. Die verlassen niemals die Häuser und sind, wenn überhaupt, nur in Begleitung ihrer Herrschaft unterwegs.«
»Er ist auf der Flucht«, schnarrte der Elb. »Müssen wir alles durchsuchen?«
»Ihr könnt selbstverständlich gern alles durchsuchen und werdet nichts finden. Wir haben kaum genug zu essen für uns, und ein Bogin wäre uns bei der Feldarbeit kaum nützlich.« Der Mann fuhr herum, als er klagendes Kindergeschrei hörte. Einer der Soldaten war abgesessen und in eine Hütte gegangen. Mit festem Griff zerrte er einen etwa neunjährigen Jungen am Ohr heraus. Die Soldaten lachten.
»Bitte«, sagte der Mann zu dem Anführer. »Es ist nicht notwendig, die Kinder zu erschrecken. Wir halten nichts vor Euch verborgen. Warum macht Ihr Euch über uns lustig?«
»Weil ihr armselige Sterbliche seid«, antwortete der Elb und machte eine beleidigende Geste mit der Hand. »Ihr seid nichts ohne uns, und das solltet ihr nie vergessen.« Er gab dem Soldaten einen Wink, den Jungen freizulassen. »Na schön, wir wollen dir Glauben schenken. Aber die Himmelswanderer mögen sich eurer erbarmen, wenn ihr uns angelogen habt und wir davon erfahren.«
Er bewegte wortlos leicht den Kopf, und einer der Wolfshunde sprang plötzlich los, fiel wie ein Gewittersturm über den Kettenhund her und tötete ihn mit einem einzigen, schnellen Biss in den Nacken. Das arme Tier kam nicht einmal mehr zu einem Klagelaut und sackte tot im Maul des Riesenhundes zusammen. Er schüttelte es einmal kräftig durch und ließ es dann fallen. Mit blutigem Maul kehrte er zu seinem Herrn zurück und stellte sich, die Lefzen leckend, neben das Pferd.
»Haben wir uns verstanden?«, schloss der Anführer und richtete seinen strengen Blick auf die Dorfbewohner, die ihn mit einer Mischung aus Angst und Wut anstarrten.
»Wir hätten auch so verstanden«, antwortete der Grauhaarige mühsam beherrscht. »Danke, Herr.«
Die Hunde versammelten sich, ließen die Dorfbewohner aber weiterhin nicht aus den Augen. Auf einen Pfiff hin stürmten sie los, weiter auf dem Weg voran, und die Schar folgte ihnen.
Fionn zuckte zusammen, als Tuagh seinen Arm packte. »Komm«, raunte er. »Verschwinden wir, solange sie den Soldaten noch nachschauen.«
Sie schlichen sich aus dem Verschlag, und in gebückter Haltung auf eine Buschgruppe kurz vor dem Wald zu. Von dort gelangten sie ungesehen in den Wald.
Erst im Schutz der Bäume wagte Fionn aufzuatmen, und er musste sich setzen.
KAPITEL 6
DER STROM, DER NIE VERSIEGT
Kämpft nicht dagegen an.
Es geschieht alles nur zu eurem Besten.
Vertraut mir.
*
»Was habe ich da gerade erlebt?«, stieß Fionn am ganzen Leib zitternd hervor. Er kämpfte mit der Übelkeit. »Der arme Hund hatte doch gar keine Chance und niemandem etwas getan. Keiner hat Widerstand geleistet!«
»Das ist die übliche Vorgehensweise«, antwortete Tuagh unbeteiligt. »Einschüchterung funktioniert nur auf drastische Weise. Menschliche Soldaten hätten das Kind getötet, nicht den Hund. Die Elben waren also nachsichtig.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Allerdings.«
»Hast …«, Fionn schluckte, »… hast du das auch schon getan?«
»Wenn es erforderlich war …« Tuagh zuckte die Achseln. »Ich habe niemals jemanden, auch kein Tier, ohne Grund umgebracht oder überhaupt körperliche Gewalt aus Überlegenheit heraus angewendet, obwohl so mancher Auftraggeber es verlangen wollte. Aber ich habe durchaus die eine oder andere Hütte angezündet oder etwas Bedeutendes zerstört, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. Manchmal habe ich auch Vieh oder Pferde beschlagnahmt.«
»Das ist schrecklich«, flüsterte Fionn. »Warum ist das überhaupt notwendig?«
»Es funktioniert eben anders nicht. Es ist ein ewiger Gezeitenstrom, manchmal schwimmt man obenauf, manchmal wird man untergetaucht. Ein stetiges Auf und Ab im Zusammenspiel des Miteinanderlebens.«
»Und dann sagst du auch noch, die Elben seien nachsichtig gewesen! Ich … ich habe sie immer für … ich weiß nicht. Für Vorbilder gehalten? Verehrungswürdig? Sie sind gerecht und gütig, als die Erstgeborenen haben sie die Verantwortung und den Schutz aller übernommen. Ohne das Oberste Gesetz wäre Albalon bestimmt schon lange im Chaos versunken. Ich hätte das nie geglaubt, aber es kann nicht anders sein, wenn ich so etwas erlebe. Da wird von Frieden geredet, aber es herrschen anscheinend überall Gewalt und Willkür. Dabei könnte diese
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