Der Fluch der Halblinge
der Strömung verschwunden waren.
Jemand beugte sich über die Böschung, ein großer dunkler Schatten, dessen Augen nur ein kurzes Glitzern waren.
Fionn schluchzte auf. »Tuagh!«, stieß er wimmernd hervor und war nicht sicher, ob seine zitternde, winzigklein gewordene Stimme überhaupt das Bollwerk des Flusses übertönen konnte. »Hier bin ich, ich kann nicht mehr …«
Er spürte, wie sein Klammergriff sich löste und die Finger zu rutschen begannen. Ein wenig war er stolz, überhaupt so lange durchgehalten zu haben, doch ob ihm das viel nützte oder die Sache erleichterte, mit Stolz zu ertrinken …
Der große Schatten bewegte sich über ihm, bückte sich, und dann umfasste eine kräftige Männerhand sein schmales Handgelenk, packte fest zu, und Fionn ließ los. Mit einem Ruck, der ihm das Gefühl gab, der Arm würde ihm aus dem Schultergelenk gekugelt, wurde er dem Ukka entrissen und lag gleich darauf hustend und spuckend auf der feuchten Erde, am ganzen Leib schlotternd, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen.
Tuagh setzte ihn auf, riss ihm die nasse Kleidung vom Leib, warf seine Decke um ihn und rieb ihn kräftig. »Bleib ja bei Bewusstsein, Junge!«, mahnte er eindringlich. »Nicht einschlafen jetzt, das ist ein sehr gefährlicher Moment …«
Fionn tat es weh, alles tat ihm weh, es begann überall zu kribbeln und zu brennen, aber Tuagh hörte nicht auf. Der Krieger rubbelte weiter, bis der junge Bogin glaubte, dass seine Haut gleich in Fetzen gehen würde.
»K-k-k-kalt«, stieß er zähneklappernd hervor.
»Du frierst? Das spürst du?«
»J-j-j-ja …«
»Tut es weh?«
»W-w-w-weh …«
»Das ist gut. Du wirst es schaffen. Wie lange hast du denn da gehangen?«
»W-weiß nicht … ich m-muss ein paar J-jahre gealtert sein …«
»Scheint mir auch so.«
»H-Hafren hat mmmir geholfen …«
»Hafren?«
»D-d-die Herrin der Flüsse und Seen … sie war die Schutzpatronin der Bogins … heißt es … sie … sie ist ja schon so lange fort …«
»Und du hast trotzdem auf sie vertraut?«
»Ja, wenn sonst nichts mehr bleibt …«
Tuagh hörte endlich auf, ihn zu malträtieren und wickelte die Decke fest um ihn. »Dein Wille ist es, der dir bleibt«, sagte er. »Auf ihn musst du vertrauen, auf dich und deine eigene Kraft.«
»War das Lektion Fünf? Ich hab den Überblick verloren …«
»Keine Lektion mehr, nur gesunder Boginverstand, Fionn.«
Tuagh wickelte noch die ramponierte zweite Decke um ihn und machte sich daran, das Feuer neu zu entfachen. Zum Glück gab es hier überall genügend Trockenholz, sodass er den jungen Bogin bald ans kräftig lodernde Feuer setzen konnte. Er hängte die Wäsche zum Trocknen auf und beseitigte anschließend die Überreste des Kampfes – indem er die Leichen kurzerhand in den Fluss warf.
»Niemand wird wissen, woher sie gekommen sind, wenn sie irgendwo angespült werden.« Er setzte sich neben Fionn und zündete sich eine Pfeife an, während er seine Waffen säuberte und gründlich polierte. »Dieser Platz wird nicht unbedingt entdeckt werden, und wenn doch, bietet er kaum Aufschluss über das, was geschehen ist.«
»Hast du sie alle …?«, fragte Fionn bang, ohne das Wort »getötet« aussprechen zu können. Er war froh, dass Tuagh über derartige Kräfte verfügte und sie beide verteidigen konnte. Aber die dunklen Flecken langsam versickernden Blutes erbauten ihn nicht gerade. Diese Wesen hatten ihn umbringen wollen, also war ihnen nur recht geschehen, aber an Gewalt und Blut und Tod musste er sich erst gewöhnen. Auch das Erlebnis mit den Elben in dem Menschendorf steckte ihm noch in den Knochen. Das war das Leben hier draußen, und er würde sich anpassen müssen. Doch das dauerte, und Fionn hoffte, dass er nicht so abstumpfte und gleichgültig wurde wie Tuagh.
»Nein, als ihre Verluste zu groß wurden, sind die anderen geflohen.«
»Was waren das für widerliche Geschöpfe?«
»Irgendwelche Nachtwesen; ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt einen Namen haben; sie sprechen nur ihre eigene Sprache. Ich kümmere mich nicht darum, denn kennst du erst die Namen solcher Kreaturen, wirst du sie gar nicht mehr los – so meine Erfahrung.« Tuagh sog an seiner Pfeife und grinste. »Wahrscheinlich entfernte Verwandte von dir.«
»Jedenfalls können sie genauso wenig schwimmen wie ich«, murmelte Fionn.
»In diesem reißenden Strom schwimmt niemand mehr, es sei denn, er hat Flossen und Kiemen.« Tuagh klopfte die Pfeife aus. »Ist deine
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